OLG Dresden, Beschluss vom 04.05.2022, Az.: 4 W 251/22

Zwar beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist bei Arzthaftungssachen von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstandenen ist und der Gläubiger von den begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne gro­be Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Die für den Beginn der Verjäh­rungs­frist erforderliche Kenntnis ist nicht bereits dann gegeben, wenn dem Patienten der negative Ausgang einer Behandlung bekannt ist, oder eine Kenntnis von postoperativen Komplikatio­nen mitsamt starken Schmerzen vorliegt. Es muss für den Patienten in seiner Parallelwer­tung in der Laiensphäre nur erkennbar sein, dass die Behandlung nicht lege artis durchge­führt wurde.

OLG Dresden, Urteil vom 29.03.2022, Az.: 4 U 980/21

Voraussetzung für die Annahme eines Diagnoseirrtums ist das Vorliegen einer vorwerfbaren Fehlinterpretation der erhobenen Befunde. Sofern die unrichtige Diagnose demgegenüber darin zu sehen ist, dass der Arzt die Erhebung der gebotenen Befunde gar nicht erst ver­anlasst hat, ist ein Befunderhebungsfehler anzunehmen. Die Anhörung eines Privat­gutach­ters zum Inhalt des für eine Partei erstellten Gutachtens von Amts wegen durch das Gericht ist nicht möglich. Die Frage, ob eine Indikation für eine strahlenbelastende Bild­gebung vor­gelegen hat, ist dem radiologischen Facharztstandard zuzuordnen.

OLG Dresden, Urteil vom 16.02.2022, Az.: 4 U 1481/21

Die Haftung wegen eines Aufklärungsfehlers hat die Nachweispflicht des Patienten zur Voraussetzung, dass der Schaden auf den nicht von der Einwilligung gedeckten und demnach rechtswidrigen Teil einer Operation zurückzuführen ist. Die Auflklärungspflicht des behandelnden Arztes gemäß § 630 e Abs. 1 S. 2 BGB umfasst sowohl die allgemeinen Risiken als auch die dem Eingriff spezifisch anhaftenden Risiken.

OLG Dresden, Urteil vom 15.03.2022, Az.: 4 U 1972/21

Die laparoskopische Appendektomie durch einen Gynäkologen ist zu dem gynäkologischen Facharztstandard zu zählen. Die Zeugenvernehmung einer Arzthelferin, die bei einem ärzt­lichen Aufklärungsgespräch zugegen war, erfolgt durch Heranziehung der für Ärzte gelten­den Beweiserleichterungen. Der Nachweis eines ordnungsgemäßen Aufklärungsge­sprächs ist bereits dann als geführt anzusehen, wenn eine schlüssige Darstellung der allgemeinen Aufklärungspraxis erfolgt und auf ihrer Grundlage ein Beweis für ein Aufklä­rungsgespräch erbracht ist, was indiziell durch einen vollständig ausgefüllten Aufklärungs­bogen anzuneh­men ist.

BGH, 08.02.2022, VI ZR 409/19

Auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen kann der Gesichtspunkt der Genugtuung nicht grundsätzlich außer Betracht bleiben. Ein dem Arzt aufgrund grober Fahrlässigkeit unterlaufener Behandlungsfehler kann dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben. Grobe Fahrlässigkeit ist allerdings nicht bereits dann zu bejahen, wenn dem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist. Ein grober Behandlungsfehler ist weder mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen noch kommt ihm insoweit eine Indizwirkung zu.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.02.2022, Az.: 7 U 199/12

In einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch auf der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren beruhen. Das OLG Frankfurt am Main hat mit Urteil dem Kläger, der Simulations­vorwürfen ausgesetzt war, eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente zugesprochen.

Der Kläger hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Er war zu diesem Zeit­punkt als Flugzeugabfertiger tätig. Das Arbeitsverhältnis endete wegen zunehmender gesund­heitlicher Beschwerden des Klägers mit einem Aufhebungsvertrag. Die beklagte Versicherung lehnte Leistungen aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung ab. Das Land­gericht hatte die Klage auf Leistung nach Einholung einer Vielzahl von Gutachten zurückge­wiesen, da keine eine Berufsunfähigkeit begründende somatische oder psychische Erkran­kung festzustellen sei. Die geklagten Beschwerden entsprächen nicht den objektiven Befun­den; auf psychiatrischem Gebiet sei offengeblieben, ob ein bewusstseinsnaher, willent­licher Prozess vorliege oder aber unbewusste Mechanismen die Schmerzverarbeitung bestimmten.

Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG Erfolg. Das OLG verur­teilte die Beklagte zur Leistung aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung. Der Senat hatte ein internistisch-rheumatologisches Gutachten eingeholt. Nach aufwendiger Diagnostik, so der Senat, seien zwar sowohl eine rheumatische Erkrankung als auch eine Fibromyalgie ausgeschlossen worden. Es seien vom Sachverständigen aber auf somatischen Gebiet objektiv nachweisbare Beeinträchtigungen in einem Umfang von 40 % festgestellt worden (u.a. arthrotische Veränderungen an den Fingern sowie dem Daumensattelgrundgelenk). Hieran anknüpfend sei der Sachverständige für psychosomatische Medizin zu der über­zeu­genden Feststellung einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ gelangt, die zu Leistungseinbußen von deutlich mehr als 50 % im zuletzt ausge­übten Beruf führten. Im Gegensatz zur „chronischen Schmerzstörung“, die allein in erster Instanz als Diagnose diskutiert worden sei, setze die Diagnose einer „chronischen Schmerz­störung mit somatischen und psychischen Faktoren“ nicht die Feststellung eines psy­chi­schen Konflikts oder einer psychosozialen Belastungssituation voraus. Die Diagnose der „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ sei erst im Jahr 2009 in den Diagnoseschlüssel (ICD-10) eingeführt worden, da häufig ein psychischer Kon­flikt oder eine psychosoziale Belastungsstörung lediglich nicht eruierbar seien, hierdurch jedoch die Diagnosestellung gefährdet sei. Dies zeige auch der vorliegende Fall nachdrück­lich auf. Der Kläger sei Simulationsvorwürfen ausgesetzt gewesen. Diese hätten jedoch nach umfangreicher Diagnostik durch den Sachverständigen als erfahrenem Facharzt für Psycho­somatik überzeugend ausgeräumt werden können.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 29/2022 des OLG Frankfurt am Main vom 04.04.2022