BGH, Beschluss vom 21.06.2022, Az.: VI ZR 310/21

Genügt die Aufklärung im Rahmen eines Behandlungsvertrages nicht die an sie zu stellen­den Anforderungen, kann sich der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Im Falle eines dann entstehenden Entscheidungskonflikts, falls ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden wären, darf der im Anschluss entscheidende Tatrichter Feststellungen darüber, wie sich der Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen. Denn durch die persönliche Anhörung soll vermieden werden, dass das Tatgericht für die Verneinung eines Entscheidungskonflikts vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als naheliegend oder vernünftig erscheint, ohne die persönlichen, möglicherweise weniger naheliegenden oder als unver­nünftig erscheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu ziehen.

OLG Dresden, Beschluss vom 13.09.2022, Az.: 4 U 583/22

Die fehlende Dokumentation des Beschwerdeverlaufs in einer Behandlungsdokumentation, mit der Folge, dass sich nicht einschätzen lässt, ab welchem Zeitpunkt die Indikation zu einer Operation bestand, führt auch dann nicht zu der Vermutung eines Behandlungsfehlers, wenn nähere Aufzeichnungen in medizinischer Sicht geboten gewesen wären. Ein Anscheinsbe­weis ist im Arzthaftungsrecht nur bei konkreten Anhaltspunkten für einen Behandlungsfehler in Betracht zu ziehen.

BGH, Urteil vom 06.12.2022, Az.: VI ZR 284/19

Mangels Feststellung einer vertraglichen Vereinbarung über die Ausgleichspflicht sind die Ausgleichsansprüche anhand der Umstände des Einzelfalls zu bemessen, insbesondere anhand der individuellen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Beteiligten. Bei einer Haftung auf Schadensersatz bestimmt sich das Innenverhältnis der Gesamtschuldner dann entsprechend dem Rechtsgedanken des § 254 Abs. 1 BGB regelmäßig danach, inwieweit die einzelnen Gesamtschuldner zur Verursachung der für die Haftung maßgeblichen Umstände beigetragen haben und in welchem Maß sie ein Verschulden trifft Die Grundsätze der Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers sind auch im Rechtsstreit zwischen mitbehandelnden Ärzten des Patienten über den selbständigen Ausgleichsanspruch des Gesamtschuldners nach § 426 Abs. 1 BGB anwendbar.

OLG Dresden, Beschluss vom 04.05.2022, Az.: 4 W 251/22

Zwar beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist bei Arzthaftungssachen von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstandenen ist und der Gläubiger von den begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne gro­be Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Die für den Beginn der Verjäh­rungs­frist erforderliche Kenntnis ist nicht bereits dann gegeben, wenn dem Patienten der negative Ausgang einer Behandlung bekannt ist, oder eine Kenntnis von postoperativen Komplikatio­nen mitsamt starken Schmerzen vorliegt. Es muss für den Patienten in seiner Parallelwer­tung in der Laiensphäre nur erkennbar sein, dass die Behandlung nicht lege artis durchge­führt wurde.

OLG Dresden, Urteil vom 29.03.2022, Az.: 4 U 980/21

Voraussetzung für die Annahme eines Diagnoseirrtums ist das Vorliegen einer vorwerfbaren Fehlinterpretation der erhobenen Befunde. Sofern die unrichtige Diagnose demgegenüber darin zu sehen ist, dass der Arzt die Erhebung der gebotenen Befunde gar nicht erst ver­anlasst hat, ist ein Befunderhebungsfehler anzunehmen. Die Anhörung eines Privat­gutach­ters zum Inhalt des für eine Partei erstellten Gutachtens von Amts wegen durch das Gericht ist nicht möglich. Die Frage, ob eine Indikation für eine strahlenbelastende Bild­gebung vor­gelegen hat, ist dem radiologischen Facharztstandard zuzuordnen.

OLG Dresden, Urteil vom 16.02.2022, Az.: 4 U 1481/21

Die Haftung wegen eines Aufklärungsfehlers hat die Nachweispflicht des Patienten zur Voraussetzung, dass der Schaden auf den nicht von der Einwilligung gedeckten und demnach rechtswidrigen Teil einer Operation zurückzuführen ist. Die Auflklärungspflicht des behandelnden Arztes gemäß § 630 e Abs. 1 S. 2 BGB umfasst sowohl die allgemeinen Risiken als auch die dem Eingriff spezifisch anhaftenden Risiken.

OLG Dresden, Urteil vom 15.03.2022, Az.: 4 U 1972/21

Die laparoskopische Appendektomie durch einen Gynäkologen ist zu dem gynäkologischen Facharztstandard zu zählen. Die Zeugenvernehmung einer Arzthelferin, die bei einem ärzt­lichen Aufklärungsgespräch zugegen war, erfolgt durch Heranziehung der für Ärzte gelten­den Beweiserleichterungen. Der Nachweis eines ordnungsgemäßen Aufklärungsge­sprächs ist bereits dann als geführt anzusehen, wenn eine schlüssige Darstellung der allgemeinen Aufklärungspraxis erfolgt und auf ihrer Grundlage ein Beweis für ein Aufklä­rungsgespräch erbracht ist, was indiziell durch einen vollständig ausgefüllten Aufklärungs­bogen anzuneh­men ist.

BGH, 08.02.2022, VI ZR 409/19

Auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungssachen kann der Gesichtspunkt der Genugtuung nicht grundsätzlich außer Betracht bleiben. Ein dem Arzt aufgrund grober Fahrlässigkeit unterlaufener Behandlungsfehler kann dem Schadensfall sein besonderes Gepräge geben. Grobe Fahrlässigkeit ist allerdings nicht bereits dann zu bejahen, wenn dem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist. Ein grober Behandlungsfehler ist weder mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen noch kommt ihm insoweit eine Indizwirkung zu.

OLG Dresden, Urteil vom 22.02.2022, Az.: 4 U 2323/20

Die Auswahl eines (medizinischen) Sachverständigen steht zwar im Ermessen des Gerichts, die Auswahl ist jedoch ermessensfehlerhaft, wenn das Gericht einen Sachverständigen aus einem falschen Sachgebiet auswählt. Dabei ist auf die Sachkunde in dem medizinischen Sachgebiet abzustellen, in das der Eingriff fällt. Die hier stattgefundene Sigmaresektion mitsamt ihrer intraoperativen Versorgung wegen einer aufgetretenen Läsion des Harnleiters unterfällt dem Facharztstandard der Viszeralchirurgie, weshalb auch einem Facharzt für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie die Beurteilung obliegt, ob ein Behandlungsfehler vorliegt.

OLG Dresden, Beschluss vom 26.01.2022, Az.: 4 U 1588/21

Aus der noch fehlenden Facharztanerkennung lässt sich nicht die Vermutung herleiten, dass der Behandler zu einer Behandlung nicht befähigt und dieses Fehlen für einen Gesundheitsschaden ursächlich war.