BGH, Urteil vom 28.05.2019, Az.: VI ZR 27/17

Sachverhalt:

Die Klägerin macht gegen den beklagten Krankenhausträger und drei für diesen tätige Ärzte Schadensersatzansprüche wegen behaupteter unzureichender Aufklärung über die mit einer ärztlichen Behandlung verbundenen Risiken geltend. Die Klägerin stellte sich in der Klinik der Beklagten wegen vom Bereich der Lendenwirbelsäule ausgehender, anhaltender Schmerzen vor. Es wurde ein Nervenwurzelsyndrom S 1 links diagnostiziert, das mit einer Spritzentherapie behandelt wurde. Nachdem zwei Injektionen komplikationslos verlaufen waren, wurden der Klägerin präsakral 40 ml Meaverin (ein Lokalanästhetikum) und 20 mg Triamcinolon (ein synthetisches Glukokortikoid) injiziert. Die Klägerin litt bereits während der Behandlung unter starken Schmerzen. Seit diesem Zeitpunkt leidet sie unter Myoklonien (unwillkürliche Kontraktionen von Muskeln). Sie musste sich mehrfachen, auch stationären, Behandlungen unterziehen und ist aufgrund ihrer Erkrankung arbeitsunfähig und in weiten Teilen ihrer Lebensführung eingeschränkt. Das Landgericht hat die Beklagten wegen Behandlungsfehlern zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.500 Euro verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision, die der Senat zugelassen hat, soweit das Berufungsgericht auf Aufklärungsfehler gestützte Schadensersatzansprüche verneint hat, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:

Der 6. Zivisenat des Bundesgerichtshofs urteilte, dass auf Aufklärungsfehler gestützte Schadensersatzansprüche der Klägerin in Betracht kommen. Der Senat weist darauf hin, dass die bei der Klägerin durchgeführte Spritzentherapie als rechtswidrig zu qualifizieren ist, da sie vor der Durchführung der Therapie nicht über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt worden ist. Aus Sicht des Senats war die rechtswidrige Spritzentherapie zudem kausal für die bei der Klägerin eingetretenen psychoreaktiven Folgen in Form der Myoklonien. Der BGH führt weiter aus, dass auch der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Eingriff und den bei der Klägerin aufgetretenen Myoklonien besteht. Wenn sich – wie im Streitfall – nur Risiken verwirklicht haben, über die nicht aufzuklären war, kommt ein Wegfall der Haftung des Arztes für Aufklärungsversäumnisse nach Worten des Senats nur dann in Betracht, wenn der Patient wenigstens eine Grundaufklärung über die Art und den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat. Dies gilt nach Überzeugung des Senats auch dann, wenn das realisierte – nicht aufklärungspflichtige – Risiko mit den nicht realisierten – aufklärungspflichtigen – Risiken nach Bedeutung und Auswirkung für den Patienten nicht vergleichbar ist. Die Grundaufklärung ist nach Worten des Senats nur dann erteilt, wenn dem Patienten ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt wird, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen können. Dazu gehöre in aller Regel auch ein Hinweis auf das schwerste in Betracht kommende Risiko, das dem Eingriff spezifisch anhaftet. Bezogen auf den konkreten Fall stellt der Senat klar, dass die Klägerin keine Grundaufklärung erhalten hat. Der BGH hat daher die Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, soweit das Berufungsgericht auf Aufklärungsfehler gestützte Schadensersatzansprüche verneint hat.

BGH, Urteil vom 21.05.2019, Az.: VI ZR 299/17

Die bei Unfällen zu den Schockschäden entwickelten Grundsätze finden auch bei fehlerhaf­ten ärztlichen Behandlungen Anwendung. Psychische Störungen von Krankheitswert können danach auch bei Behandlungsfehlern eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Es besteht in diesem Fall regelmäßig kein rechtfertigender Grund dafür, die Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignis­sen. Jedoch bedarf der Zurechnungszusam­men­hang insbesondere bei psychischen Ge­sund­heitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.03.2019, Az.: 8 U 219/16

Der Kläger rutschte auf seinem Betriebsgelände bei Glatteis aus und stürzte auf den rechten Arm. Zur Behandlung begab er sich in die Hände der Beklagten (Klinikum und Arzt). Es wur­de ein Oberarmschaftbruch diagnostiziert. Die Aufklärung über mögliche Operationsme­tho­den erfolgte u.a. anhand eines Aufklärungsformblattes mit bildlichen Darstellungen. Unter der Rubrik „Komplikationen“ wurde darauf hingewiesen, dass „vereinzelt“ Zwischenfälle – etwa die Bildung eines so genannten Falschgelenks – auftreten könnten, die weitere Behand­lungsmaßnahmen erforderten. Der Kläger wurde nachfolgend im Wege der sog. Humerus-Nagelung operiert, die jedoch nicht zum Verheilen des Bruches führte. Es bildete sich ein sog. Falschgelenk. Nach erneuter Operation unter Anwendung einer anderen Methode ver­heilte die Fraktur.

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung der Eintrittspflicht für entstandene und zukünftige Schäden wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Er­folg. Der Kläger habe keinen Behandlungsfehler der Beklagten nachweisen können, stellte das OLG fest. Der von den Gerichten beauftragte Sachverständige habe vielmehr über­zeu­gend deutlich gemacht, dass die Art der Versorgung des Bruches keine Auswirkungen auf die Bildung eines Falschgelenks gehabt habe.

Die Einwilligung des Klägers in den zunächst vorgenommenen Eingriff sei auch nicht man­gels ordnungsgemäßer Aufklärung unwirksam. Insbesondere sei das mit „vereinzelt“ ange­gebene Risiko der Falschgelenkbildung in dem Aufklärungsbogen nicht verharmlost worden. Das Risiko der Bildung eines Falschgelenks liege nach Angaben des Sachverständigen bei ca. 20 % aller Fälle. Die Formulierung „vereinzelt“ bezeichne nach dem hier maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch „eine gewisse Häufigkeit, die zumindest kleiner als „häufig“ ist.“ Genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen hinsichtlich eines Behandlungsrisikos müss­ten nicht mitgeteilt werden. Die verbalen Risikobeschreibungen in ärztlichen Aufklä­rungs­bö­gen richteten sich auch nicht nach den Häufigkeitsdefinitionen (gelegentlich, selten, sehr sel­ten etc.) in Medikamentenbeipackzetteln des MedDRA (Medical Dicitionary for Regu­latory Activities). „Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kann man ein in etwa in jedem fünften Fall eintretendes Risiko durchaus noch als „vereinzelt“ bezeichnen“.

Die Beklagten hätten auch nicht versäumt, den Kläger über alternative gleichwertige Be­hand­lungsmöglichkeiten aufzuklären. Der Sachverständige habe vielmehr verdeutlicht, dass die vom Kläger bevorzugte so genannte Plattenosteosynthese keine gleichwertige Behand­lungsmöglichkeit gewesen wäre. Im Übrigen wäre diese Behandlungsvariante mit einem ver­gleichbaren Risiko für eine Falschgelenkbildung verbunden gewesen. Schließlich habe der Kläger jedenfalls nicht bewiesen, dass die vorgenommene Behandlung für den geltend ge­machten Schaden ursächlich geworden sei. Er hätte darlegen und beweisen müssen, dass bei pflichtgemäßem Handeln der Schaden verhindert worden wäre. Dies sei ihm nicht gelun­gen. Vielmehr habe der Sachverständige deutlich gemacht, dass bei jeder Behandlungsme­thode aufgrund der Risikofaktoren des Klägers ein vergleichbar hohes Risiko für eine Falsch­gelenkbildung bestanden habe.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 23/2019 des OLG Frankfurt am Main vom 08.04.2019

BGH, Urteil vom 02.04.2019, Az.: VI ZR 13/18

Der 1929 geborene Vater des Klägers (Patient) litt an fortgeschrittener Demenz. Er war be­wegungs- und kommunikationsunfähig. In den letzten beiden Jahren seines Lebens kamen Lungenentzündungen und eine Gallenblasenentzündung hinzu. Im Oktober 2011 verstarb er. Der Patient wurde von September 2006 bis zu seinem Tod mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Er stand unter Betreuung eines Rechtsanwalts. Der Beklagte, ein nieder­ge­las­se­ner Arzt für Allgemeinmedizin, betreute den Patienten hausärztlich. Der Patient hatte keine Patientenverfügung errichtet. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen ließ sich auch nicht anderweitig feststellen. Es war damit nicht über die Fallge­staltung zu entscheiden, dass die künstliche Ernährung gegen den Willen des Betroffenen erfolgte. Der Kläger macht geltend, die künstliche Ernährung habe spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Pa­tien­ten geführt. Der Beklagte sei daher verpflichtet gewesen, das Therapieziel dahingehend zu ändern, dass das Sterben des Patienten durch Beendigung der lebenserhaltenden Maß­nahmen zugelassen werde. Der Kläger verlangt aus ererbtem Recht seines Vaters Schmer­zensgeld sowie Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlan­desgericht diesem ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zugesprochen. Der Beklagte sei im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gehalten gewesen, mit dem Betreuer die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung eingehend zu erörtern, was er unter­lassen habe. Die aus dieser Pflichtverletzung resultierende Lebens- und gleichzeitig Leidens­verlängerung des Patienten stelle einen ersatzfähigen Schaden dar.

Der unter anderem für das Arzthaftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat hat auf die Revision des Beklagten das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte Pflichten verletzt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Scha­den anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maß­nahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 40/2019 des BGH vom 02.04.2019

BGH, 29.01.2019, VI ZR 117/18

Wahrscheinlichkeitsangaben im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung vor einer ärzt­lichen Behandlung haben sich grundsätzlich nicht an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities zu or­ien­tieren. Dies gilt auch, wenn die Wahrscheinlichkeitsangaben in einem (schriftlichen) Auf­klärungsbogen enthalten sind.

OLG Celle, Beschluss vom 10.08.2018, Az.: 1 U 71/17

Wegen akuter Rückenschmerzen aufgrund langjährig bestehender Bandscheibenschäden waren einem 50jährigen Patienten von dessen Hausarzt binnen einer Woche viermal die Präparate Solu-Decortin und Diclofenac gleichzeitig in die Gesäßmuskulatur injiziert worden. Einige Stunden nach Verabreichung der vierten Spritze kollabierte der Patient zu Hause. Er wurde mit Schüttelfrost, Atemschwierigkeiten und Schmerzen als Notfall im Krankenhaus aufgenommen, wo er sofort intensivmedizinisch behandelt wurde. Auslöser des erlittenen Kollapses war ein schwerer septischer Schock, der ein multiples Organversagen und schließ­lich dauerhaft eine weitgehende Körperlähmung bei dem Patienten bewirkte. Ursache der Sepsis war – wie sich später herausstellte – ein sog. Spritzenabszess. Das septische Infektionsgeschehen war für die Ärzte im Krankenhaus nicht zu beherrschen. Es schloss sich ein mehr als ein Jahr andauernder dramatischer Leidensprozess an, während dessen der Patient ohne Aussicht auf eine Besserung dauerhaft künstlich beatmet werden musste und weitgehend gelähmt blieb. Am Ende dieses Leidensprozesses stand der ärztlich begleitete Freitod des Patienten, der seinen Sterbewunsch über Monate hinweg geäußert und diesen auch in Ethikgesprächen mit den behandelnden Ärzten bekräftigt hatte. Der Patient war verheiratet und Vater von drei minderjährigen Kindern. Die Witwe und ihre Kinder als Erbengemeinschaft nahmen den Hausarzt, der die Spritzen verabreicht hatte, vor dem Landgericht Lüneburg wegen eines Behandlungsfehlers auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch.

Das Landgericht Lüneburg wertete die ärztliche Behandlung als grob fehlerhaft und verur­teilte den Hausarzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 500.000,00. Nach Überzeugung des durch einen medizinischen Sachverständigen beratenen Landgerichts wi­dersprach die intramuskuläre Injektion der beiden Präparate sowohl dem fachlichen medi­zi­nischen Standard als auch den gängigen Leitempfehlungen.

Die gegen dieses Urteil von dem Hausarzt eingelegte Berufung blieb erfolglos. Der für Arzt­haftungssachen zuständige 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hat die Berufung durch Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. In einem vorausgegangenen Hinweisbeschluss vom 05.06.2018 hatte der Senat ausgeführt, dass die Entscheidung des Landgerichts rechts­fehlerfrei sei. Mit Recht habe das Landgericht auf der Grundlage des überzeugenden Sach­ver­ständigengutachtens die Injektion der konkret verabreichten Medikamente als einen gro­ben Behandlungsfehler gewertet. Es komme auch nicht darauf an, ob der Patient vor Verab­reichung der Injektionen in diese eingewilligt habe, weil eine kontraindizierte Behandlung nicht durch eine Einwilligung gerechtfertigt werden könne. Dass der dramatische Krank­heitsverlauf ungewöhnlich und nicht vorhersehbar gewesen sei, stehe der Haftung des Hausarztes ebenfalls nicht entgegen.

Das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld sei auch in der ausgeurteilten Höhe angemessen, denn es müsse insbesondere das extreme Leiden des verstorbenen Patienten berücksichtigt werden, der sich seiner Beeinträchtigungen bewusst gewesen sei und deshalb in besonderem Maße darunter gelitten habe. Dass sich dieser Leidensprozess über einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr erstreckt und nicht länger gedauert habe, recht­fertige es nicht, ein geringeres Schmerzensgeld festzusetzen. Der Dauer des Leidens kom­me wegen der besonderen Umstände des Todes des Patienten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes keine Bedeutung zu, denn dieser habe den Freitod nur gewählt hatte, um sein Leiden zu beenden.

Die von dem Hausarzt eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 12.03.2019 zurückgewiesen (Az.: VI ZR 355/18). Damit ist das Urteil rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Celle vom 28.03.2019

OLG Köln, Urteil vom 16.01.2019, Az.: 5 U 29/17

Die 57-jährige Klägerin aus dem Kölner Umland hatte sich den Oberschenkelhals gebrochen und war nachts in die Klinik eingeliefert worden. Beim nächtlichen Aufklärungsgespräch zeigte sie sich gegenüber der von den Ärzten empfohlenen Operation ausgesprochen skep­tisch. Letztendlich unterschrieb sie aber eine Einwilligungserklärung für die am nächsten Mittag vorgesehene Operation. Noch in der Nacht bat sie ihren Ehemann, am nächsten Vormittag die Meinung eines Orthopäden ihres Vertrauens einzuholen. Weil die Klinik die Operation auf den Morgen vorverlegte, hatte dies keine Folgen mehr.

Die Patientin, die jedenfalls im Rückblick eine konservative Therapie des Bruches bevorzugt hätte, hatte die Klinik auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro verklagt. Anders als das Landgericht, das die Klage abgewiesen hatte, sprach der 5. Zivilsenat des Oberlandes­ge­richts der Klägerin einen Betrag von 10.000 Euro wegen aus der Operation resultierenden dauerhaften Schmerzen im rechten Oberschenkel zu. Die Operation sei zwar fehlerfrei durch­­geführt worden. Die Einwilligung der Patientin sei im konkreten Einzelfall aber unwirk­sam gewesen. Die Aufklärung eines Patienten müsse so rechtzeitig erfolgen, dass dieser seine Entscheidung wohlüberlegt treffen könne. Ein stationär aufgenommener Patient müsse regelmäßig mindestens einen Tag vor der Operation aufgeklärt werden, wenn der Eingriff nicht medizinisch dringlich sei. Die streitgegenständliche Operation sei zwar alsbald und spätestens innerhalb von 24 Stunden nach dem Unfall geboten gewesen. Sie sei aber keine derart notfallmäßige sofortige Operation gewesen, die es gerechtfertigt hätte, der Patientin eine sofortige Entscheidung ohne jegliche Überlegungsfrist abzuverlangen.

Die Übung des Krankenhauses, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, sei schon vom Grundsatz her nicht unbedenklich. Der Patient treffe seine Entscheidung unter dem Eindruck einer großen Fülle von regelmäßig unbekannten und schwer verständlichen Informationen und wie hier nach dem Unfall in einer persönlich schwierigen Situation. Die Erklärung stehe dann unter dem Vorbehalt, dass der Patient die ihm verbleibende Zeit nutze, um die erhaltenen Infor­mationen zu verarbeiten und um das Für und Wider des Eingriffs für sich abzuwägen und sich gegebenenfalls anders zu entscheiden. In einem solchen Fall sei es nicht Aufgabe des Patienten, sich durch eine ausdrückliche Erklärung von seiner zuvor gegebenen Einwilli­gungs­erklärung zu lösen. Es sei vielmehr Aufgabe der Ärzte, sich davon zu überzeugen, dass die gegebene Einwilligungserklärung nach wie vor dem freien Willen des Patienten entspreche. Dies gelte allerdings nur für den Fall, bei dem der Patient keine ausreichende Bedenkzeit für seine Einwilligung gehabt habe. So habe auch die Klägerin keine wohl­überlegte Entscheidung treffen können. Die operierenden Ärzte, denen die kurze Überle­gungszeit bekannt gewesen sei, hätten sich daher ausdrücklich bei der Klägerin verge­wissern müssen, ob es bei der Entscheidung der Nacht bleibe.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Köln vom 06.03.2019

OLG Köln, Urteil vom 09.01.2019, Az.: 5 U 13/17

Ein Durchgangsarzt, der nach einem Arbeitsunfall mit Aufprall des Fußes auf der Erde zunächst nur ein Umknicktrauma diagnostiziert, muss die Möglichkeit einer Mitbeteiligung von Fuß­knochen in Erwägung ziehen und röntgenologisch abklären, wenn er im Rahmen der selbst weitergeführten Behandlung von der Diabetes mellitus-Erkrankung des Patienten und einer darauf beruhenden Polyneuropathie erfährt. Jedenfalls mit der Kenntnis dieser Sensibilitäts­störung und der persistierenden Beschwerden muss der Arzt die Möglichkeit einer übersehenen Fraktur im Fuß bedenken und vor dem Hintergrund der erheblichen Komplikationsgefahren, die aus einer solchen übersehenen Fraktur resultierten, unverzüglich handeln, da ihm die Möglich­keit der Ausbildung eines Charcot-Fußes vor Augen stehen muss. Ein entsprechendes Versäum­nis stellt sich als Befunderhebungsmangel und nicht als Diagnosefehler dar. Die vollständige und endgültige Ausbildung eines Charcot-Fußes bei einem 48-jährigen Mann rechtfertigt ein Schmer­zens­geld von 50.000 Euro.

OLG Köln, Urteil vom 09.01.2019, Az.: 5 U 25/18

Die Wahrung fachärztlichen Standards setzt nicht zwingend voraus, dass der Eingriff von einem Arzt durchgeführt wird, der die Facharztausbildung vollständig und erfolgreich absolviert hat. Ein Assis­tenzarzt kann und muss mit fortschreitender praktischer Erfahrung selbständig Behandlungsmaßnah­men vornehmen. Dies gilt für Herzkatheter-Untersuchungen ebenso wie für sonstige Eingriffe, insbe­sondere Anfängeroperationen. Allerdings darf dem Patienten hierdurch kein zusätzliches Risiko ent­ste­hen. Soweit dem in Weiterbildung befindlichen Arzt die vom Facharztstandard geforderte Er­fah­rung fehlt, muss dies durch besondere Maßnahmen der Überwachung und jederzeitigen Eingriffs­bereitschaft durch einen erfahrenen Arzt ausgeglichen werden. Die Überwachung einer Ärztin in Weiterbildung bei der selbständigen Durchführung einer Herzkatheteruntersuchung ist dann ausrei­chend gewährleistet, wenn sie durch einen Oberarzt erfolgt, der dem Geschehen von einem angrenzenden Monitorraum aus folgt.

BGH, Urteil vom 19.02.2019, Az.: VI ZR 505/17

Soweit dem Patienten die primäre Darlegung des Konfliktstoffs durch Erfüllung der zugrun­deliegenden Anforderungen gelingt und somit ein fehlerhaftes Verhalten auf der Behandlungs­seite aufgrund der Folgen zu vermuten ist, führt dies zu einer erweiterten (sekundären) Darle­gungslast der Behandlunggsseite, da es ihr möglich und zumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären. Bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes ist regelmäßig von diesem Fall auszu­gehen. An die Substantiierungspflicht sind bei einem Arzthaftungsprozess lediglich maßvolle Anforderungen zu stellen, da dieser keine genauen Kenntnisse von den medizinischen Vorgän­gen hat und diese auch nicht von ihm erwartet werden können. Diese eingeschränkte primäre Darlegungslast geht grundsätzlich mit einer gesteigerten Verpflichtung des Gerichts zur Sachver­haltsaufklärung einher. Eine Einschränkung der Darlegungslast des Patienten kann sich unter Umständen auch daraus ergeben, dass er außerhalb des Geschehensablaufs steht und ihm eine nähere Substantiierung nicht möglich ist.