BGH, Urteil vom 14.01.2021, Az.: III ZR 168/19

Maßgeblich für die Beurteilung der Notwendigkeit von Vorkehrungen zur Verhinderung einer Selbstschädigung durch den Bewohner eines Pflegeheims ist, ob aus der ex-ante-Sicht im Einzelfall wegen der körperlichen oder geistigen Verfassung des Heimbewohners ernsthaft damit gerechnet werden musste, dass er sich ohne das Treffen von Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte. Hierbei ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass bereits das bloße Bestehen einer Gefahrensituation, deren Verwirklichung recht unwahrscheinlich ist, aber besonders schweren Folgen nach sich ziehen kann, geeignet ist, entsprechende vor­beu­gende Sicherungspflichten des Heimträgers zu begründen. Aus diesem Grunde darf etwa ein an Demenz erkrankter Heimbewohner bei Vorliegen einer erkannten oder erkenn­baren Selbstschädigungsgefahr, bei dem es jederzeit zu unkontrollierten und unkal­kulier­ba­ren Handlungen kommen kann, nicht in einem Wohnraum mit unproblematisch erreichbaren und einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. Eine Pflicht zu besonderen Siche­rungsmaßnahmen besteht hingegen nicht, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung des Heimbewohners bestehen.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.09.2019, Az.: 7 U 21/18

Die Klägerin ist die Krankenkasse einer an Demenz erkrankten Bewohnerin eines Pflege­heims. Die Beklagte ist die Trägerin des Pflegeheimes. Die 83-jährige Heimbe­wohnerin stürzte, als sie versuchte, bei einem Toilettengang ohne Hilfe aufzustehen. Sie erlitt eine Oberschenkelhalsfraktur. Die klagende Krankenkasse ist der Auffassung, das Pflegeheim habe seine Sorgfaltspflicht verletzt. Die Patientin hätte dauerbeaufsichtigt werden müssen. Sie fordert die aufgrund des Unfalls geleisteten Krankenversicherungsleistungen von der Trägerin des Pflegeheims.

Das Landgericht Karlsruhe hat die Klage abgewiesen. Der 7. Zivilsenat des Oberlandesge­richts Karlsruhe hat nach Einholung eines pflegefachlichen Sachverständigengutachtens die Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen. Zwar besteht grundsätzlich eine Verpflichtung des Pflegeheims, Patienten nach Möglichkeit vor Stürzen zu bewahren. Der Umfang der zu treffenden Sicherungsmaßnahmen richtet sich danach, ob und inwieweit sich ein Sturzrisiko absehen lässt. Dabei ist der Schutz des Patienten vor einem Sturz abzuwägen mit dem Schutz seiner Intimsphäre, die auch bei einem Demenzkranken zu beachten ist und die bei einer lückenlosen Überwachung während des Toilettengangs beeinträchtigt wäre. Eine lückenlose Überwachung wäre nur dann zu fordern gewesen, wenn sich Anhaltspunkte für eine Sturzgefahr nicht nur bei der allgemeinen Fortbewegung im Heim, sondern gerade auch während des Toilettengangs ergeben hätten, was hier vor dem Sturz nicht der Fall gewesen war. Die Entscheidung des Pflegeheims im konkreten Fall ist daher pflegefachlich nachvoll­ziehbar. Das Pflegeheim war nicht dazu verpflichtet, eine durchgehende Beaufsichtigung der demenzkranken Patientin zu gewährleisten.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 25.09.2019

BGH, Urteil vom 11.05.2017, Az.: III ZR 92/16

Bei einem Hausnotrufvertrag handelt es sich um einen Dienstvertrag. Der Dienstleister schuldet keinen Erfolg etwaiger Rettungsmaßnahmen und trägt keine Verantwortung für deren ordnungsgemäße Durchführung. Dies gilt auch dann, wenn er nach dem Vertrag ver-pflichtet ist, unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung zu vermitteln, wobei ihm bei der Beantwortung der Frage, welche Hilfeleistung unter den konkreten Umständen angemessen ist (z.B. Schlüsseldienst, Hausarzt, Rettungsdienst, Notarzt) ein gewisser Ermessenspiel¬raum zusteht. Allerdings stellt die Entsendung eines medizinisch nicht geschulten Mitarbei¬ters zur Abklärung der Situation keine angemessene Hilfeleistung im Sinne des Hausnot¬rufvertrages dar, wenn es sich um eine dramatische Situation handelt, bei der ein Schlagan¬fall wahrscheinlich war. Die Folgen der Ungewissheit, ob der Schaden abwendbar war, ist in diesem Fall nicht dem Geschädigten aufzubürden.

OLG Hamm, Urteil vom 17.01.2017, Az. 26 U 30/16

Mit der stationären Aufnahme eines Patienten übernimmt die Klinik auch eine Obhuts- und Schutzpflicht, um den Patienten vor zumutbaren Gefahren und Schäden zu schützen. Maßgebend ist, ob im Einzelfall wegen der Verfassung des Patienten aus der Sicht ex ante ernsthaft damit gerechnet werden musste, dass er sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte. Darüber hinaus hat derjenige, der eine Gefahrenlage für Dritte schafft, eine Verkehrssicherungspflicht. Er muss daher alle erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern. Besteht bei einem Patienten eine Weglauftendenz, kann eine Sicherung der Fenster geboten sein.