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OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.02.2022, Az.: 7 U 199/12

In einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch auf der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren beruhen. Das OLG Frankfurt am Main hat mit Urteil dem Kläger, der Simulations­vorwürfen ausgesetzt war, eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente zugesprochen.

Der Kläger hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Er war zu diesem Zeit­punkt als Flugzeugabfertiger tätig. Das Arbeitsverhältnis endete wegen zunehmender gesund­heitlicher Beschwerden des Klägers mit einem Aufhebungsvertrag. Die beklagte Versicherung lehnte Leistungen aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung ab. Das Land­gericht hatte die Klage auf Leistung nach Einholung einer Vielzahl von Gutachten zurückge­wiesen, da keine eine Berufsunfähigkeit begründende somatische oder psychische Erkran­kung festzustellen sei. Die geklagten Beschwerden entsprächen nicht den objektiven Befun­den; auf psychiatrischem Gebiet sei offengeblieben, ob ein bewusstseinsnaher, willent­licher Prozess vorliege oder aber unbewusste Mechanismen die Schmerzverarbeitung bestimmten.

Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG Erfolg. Das OLG verur­teilte die Beklagte zur Leistung aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung. Der Senat hatte ein internistisch-rheumatologisches Gutachten eingeholt. Nach aufwendiger Diagnostik, so der Senat, seien zwar sowohl eine rheumatische Erkrankung als auch eine Fibromyalgie ausgeschlossen worden. Es seien vom Sachverständigen aber auf somatischen Gebiet objektiv nachweisbare Beeinträchtigungen in einem Umfang von 40 % festgestellt worden (u.a. arthrotische Veränderungen an den Fingern sowie dem Daumensattelgrundgelenk). Hieran anknüpfend sei der Sachverständige für psychosomatische Medizin zu der über­zeu­genden Feststellung einer „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ gelangt, die zu Leistungseinbußen von deutlich mehr als 50 % im zuletzt ausge­übten Beruf führten. Im Gegensatz zur „chronischen Schmerzstörung“, die allein in erster Instanz als Diagnose diskutiert worden sei, setze die Diagnose einer „chronischen Schmerz­störung mit somatischen und psychischen Faktoren“ nicht die Feststellung eines psy­chi­schen Konflikts oder einer psychosozialen Belastungssituation voraus. Die Diagnose der „chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ sei erst im Jahr 2009 in den Diagnoseschlüssel (ICD-10) eingeführt worden, da häufig ein psychischer Kon­flikt oder eine psychosoziale Belastungsstörung lediglich nicht eruierbar seien, hierdurch jedoch die Diagnosestellung gefährdet sei. Dies zeige auch der vorliegende Fall nachdrück­lich auf. Der Kläger sei Simulationsvorwürfen ausgesetzt gewesen. Diese hätten jedoch nach umfangreicher Diagnostik durch den Sachverständigen als erfahrenem Facharzt für Psycho­somatik überzeugend ausgeräumt werden können.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 29/2022 des OLG Frankfurt am Main vom 04.04.2022