BSG, Urteil vom 29.08.2023, Az.: B 1 KR 18/22 R
Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird, den Versorgungsauftrag nicht überschreitet und i.S. von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist.
Bei der Strahlentherapie handelt es sich zwar um eine allgemeine Krankenhausleistung. Nach § 2 Abs 2 Satz 2 Nr 2 KHEntgG gehören zu den allgemeinen Krankenhausleistungen auch die vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung (§ 39 Abs 1 Satz 3 SGB V. Zugelassene Krankenhäuser sind verpflichtet, die Versicherten – ggf. unter konsiliarischer Hinzuziehung Dritter – mit allen während der stationären Behandlung notwendigen (auch ambulanten) Behandlungen zu versorgen. Denn sie tragen während der stationären Behandlung trotz der Hinzuziehung von Dritten für die Versicherten die Gesamtbehandlungsverantwortung. Die Leistung des Hinzugezogenen stellt sich auch nach außen als Leistung des Krankenhauses gegenüber dem Patienten dar.
Vom Krankenhaus veranlasste Leistungen Dritter sind aber nur dann als eigenständige Operationen und Prozeduren nach dem OPS kodierfähig, wenn das Krankenhaus sie nach dem Inhalt seines Versorgungsauftrags auch selbst erbringen durfte. Ist die Erbringung der Strahlentherapie nicht vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses umfasst, ist sie nicht als Prozedur kodierfähig.
Kein Ruhen des Krankengeldanspruchs bei fehlender elektronischer Übermittlung der AU-Bescheinigung durch den Vertragsarzt
KrankenversicherungsrechtBSG, Urt. vom 30.11.2023, Az.: B 3 KR 23/22 R
Leitsatz
1. Der Anspruch auf Krankengeld ruht u.a., solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird.
2. Der Anspruch des Versicherten auf Krankengeld ruht nicht, wenn durch den Vertragsarzt entgegen seiner seit 1.1.2021 gesetzlich begründeten Pflicht die unmittelbar elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse nicht erfolgt. Eine etwaige Verspätung bei der ab 1.1.2021 von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und Einrichtungen an die Krankenkassen zu übermittelnden Arbeitsunfähigkeitsdaten nach § 295 Abs. 1 Satz 1 SGB V führt nicht zu Rechtsfolgen zulasten der Versicherten.
Voraussetzungen für die Kodierung der durch eine ausgelagerte Praxis erbrachten Strahlentherapie durch ein Krankenhaus
VergütungsrechtBSG, Urteil vom 29.08.2023, Az.: B 1 KR 18/22 R
Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird, den Versorgungsauftrag nicht überschreitet und i.S. von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist.
Bei der Strahlentherapie handelt es sich zwar um eine allgemeine Krankenhausleistung. Nach § 2 Abs 2 Satz 2 Nr 2 KHEntgG gehören zu den allgemeinen Krankenhausleistungen auch die vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung (§ 39 Abs 1 Satz 3 SGB V. Zugelassene Krankenhäuser sind verpflichtet, die Versicherten – ggf. unter konsiliarischer Hinzuziehung Dritter – mit allen während der stationären Behandlung notwendigen (auch ambulanten) Behandlungen zu versorgen. Denn sie tragen während der stationären Behandlung trotz der Hinzuziehung von Dritten für die Versicherten die Gesamtbehandlungsverantwortung. Die Leistung des Hinzugezogenen stellt sich auch nach außen als Leistung des Krankenhauses gegenüber dem Patienten dar.
Vom Krankenhaus veranlasste Leistungen Dritter sind aber nur dann als eigenständige Operationen und Prozeduren nach dem OPS kodierfähig, wenn das Krankenhaus sie nach dem Inhalt seines Versorgungsauftrags auch selbst erbringen durfte. Ist die Erbringung der Strahlentherapie nicht vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses umfasst, ist sie nicht als Prozedur kodierfähig.
Voraussetzungen einer Zulassungsentziehung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit
ZulassungsrechtBSG, Urteil vom 19.07.2023, Az.: B 6 KA 5/22 R
Im Falle der Nichtaufnahme bzw. Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist stets vorrangig vor einer Zulassungsentziehung zu prüfen, ob ein bloßes Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs. 5 SGB V i.V.m. § 26 Ärzte-ZV in Betracht kommt, da die (Wieder-)Aufnahme der Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten ist und dem Ruhen Gründe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen. Nicht erforderlich ist, dass die Wiederaufnahme am alten Vertragsarztsitz (§ 95 Abs. 1 Satz 5 SGB V) erfolgen soll. Auch kann dahinstehen, ob zu dem Zeitpunkt der Antragstellung auf Sitzverlegung noch ein hinreichendes Praxissubstrat vorhanden war. Dies ist keine Voraussetzung für die Genehmigung der Verlegung eines Vertragsarztsitzes. Wird ein Sitzverlegungsantrag gestellt, der nicht von vorneherein ohne Aussicht auf Erfolg ist, muss dieser in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezogen werden. Dabei steht der Ruhensanordnung nicht entgegen, wenn der Praxisinhaber oder das MVZ seine Tätigkeit am alten Standort bereits eingestellt hatte, als der Antrag auf Genehmigung der Sitzverlegung gestellt wurde. Ein Ruhen der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung kann auch dann angeordnet werden, wenn ein MVZ aufgrund der Nichtausübung der Tätigkeit mehr als sechs Monate nicht fachübergreifend tätig war.
Kostenlose Zurverfügungstellung der ersten Kopie einer Patientenakte
AllgemeinEuGH, Urteil vom 26.10.2023, Az.: C-307/22
Patienten haben gegenüber einem Behandler Anspruch darauf, dass ihnen eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, kostenlos zur Verfügung gestellt werden.
Gemäß § 630f des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) ist der Behandelnde verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Der Behandelnde hat die Patientenakte für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach anderen Vorschriften andere Aufbewahrungsfristen bestehen.
Vorgezogene Aufklärungspflicht des Arztes über eine sekundäre Sectio
ArzthaftungsrechtOLG Saarbrücken, Urteil vom 29.03.2023, Az.: 1 U 81/21
Soweit der Arzt eine Behandlungsmaßnahme infolge einer unzureichenden Aufklärung ohne wirksame Einwilligung des Patienten ausführt, liegt eine Verletzung seiner vertraglichen Pflichten vor. Zugleich stellt sich die durchgeführte Behandlungsmaßnahme als rechtswidrig i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB dar. Dies kann bei einem Patienten, der bei dieser Behandlung einen Schaden an Körper oder Gesundheit davongetragen hat, zu einem entsprechenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 249 ff., 253 Abs. 2 BGB führen, sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Als Haftungsvoraussetzung des behandelnden Arztes ist jedoch stets das Vorliegen einer nachweislichen Beeinträchtigung der Gesundheit des Patienten durch die Behandlung zu fordern. Kann ein gesundheitlicher Primärschaden nicht bereits aus der infolge einer unzureichenden Aufklärung pflicht- und rechtswidrigen Behandlungsmaßnahme selbst abgeleitet werden, hat der Nachweis eines solchen durch den Patienten, hier des ungeborenen Kindes, unter Zugrundelegung des Beweismaßes des § 286 Abs. 1 ZPO zu erfolgen. Soweit sich bei einer Geburtseinleitung mittels Misoprostol ausschließlich dasjenige spezifische Behandlungsrisiko verwirklicht, das der medikamentösen Geburtseinleitung gerade entspricht und über welches eine umfassende Aufklärung der Schwangeren erfolgte, ist eine Haftung des behandelnden Arztes wegen einer unzureichenden Risikoaufklärung ausgeschlossen. Eine Pflicht des geburtsleitenden Arztes zur vorgezogenen Aufklärung über eine sekundäre Sectio ist lediglich dann zu bejahen, wenn aus medizinischer Sicht ex ante aufgrund konkreter Umstände deutliche Anzeichen dafür vorliegen, dass der Geburtsvorgang einen derartigen Verlauf nehmen kann, als dass sich eine Schnittentbindung zu einer echten bis hin zu einer gebotenen vaginalen Entbindung entwickelt. Ein solcher Fall ist, wie vorliegend, nicht gegeben, wenn aus medizinischer Sicht ex ante lediglich eine leichte Erhöhung der Grundwahrscheinlichkeit für eine sekundäre Sectio anzunehmen ist.
Anspruch auf Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung bei Vorliegen eines Diagnoseirrtums
ArzthaftungsrechtOLG Dresden, Urteil vom 10.10.2023, Az.: 4 U 634/23
Einem Patienten steht kein Anspruch gegen den behandelnden Arzt auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gemäß §§ 630 a ff., 823 BGB zu, wenn zwar ein einfacher Diagnoseirrtum vorliegt, es dem Patienten jedoch nicht gelingt, den Beweis für die Kausalität der zeitlichen Verzögerung der Behandlung für den eingetretenen Schaden zu erbringen. Vorliegend hat der Radiologe, dem der betroffene Patient mit der Befundbeschreibung „Kopfschmerzen“ zum MRT überwiesen wurde, den sichtbaren und auffälligen Nebenbefund außerhalb des Gehirnschädels nicht hinreichend wahrgenommen. Soweit für den Arzt aus medizinischer Sicht selbst keine Verpflichtung zur Abklärung dieses Zufallsbefunds besteht, hat er diesen im Arztbrief an den überweisenden Behandler aufzunehmen. Sofern diese Mitteilung aus dem Grund unterbleibt, da der Radiologe den erkennbaren Nebenbefund übersieht, ist, wie hier, von einem Diagnosefehler und nicht von einem Behandlungsfehler auszugehen, der vorliegend als einfacher Behandlungsfehler einzustufen ist. Ein Fehler bei der Interpretation des erhobenen Befundes stellt jedoch lediglich dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und damit einen groben Diagnosefehler dar, sofern es sich hierbei um einen fundamentalen Irrtum handelt. Dem Patienten ist der Beweis für den Ursachenzusammenhang zwischen dem einfachen Diagnoseirrtum des Radiologen und dem bei ihm eingetretenen Schaden schon nicht gelungen, so dass ein Schmerzensgeldanspruch abzulehnen war.
Prüfungsantrag hemmt Ausschlussfrist
VergütungsrechtLSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.03.2023, Az.: L 7 KA 16/19
§ 106 Abs. 2 SGB V in der Fassung vom 19.10.2012 stellt die Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Arzneimittelregressen dar, nach welcher die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen geprüft wird. Gemäß § 20 Abs. 3 und 4 Prüfverordnung entscheidet die Prüfungsstelle darüber, ob und in welcher Höhe der Krankenkasse durch Verletzung vertraglicher Pflichten des Vertragsarztes ein zu ersetzender Schaden entstanden ist. Dieser Prüfungsantrag hat eine die Ausschlussfrist hemmende Wirkung, sofern er innerhalb der Ausschlussfrist von vier Jahren gestellt wurde und der Vertragsarzt von ihm Kenntnis erlangt. Die Kenntnisnahme des Vertragsarztes ist hierbei auch nach Ablauf der Ausschlussfrist möglich, solange dies unverzüglich geschieht.
Beweislast des Patienten hinsichtlich einer Verletzung der Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung
ArzthaftungsrechtOLG Dresden, Urteil vom 25.07.2023, Az.: 4 U 659/23
Die Verletzung der Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung umfasst den Vorwurf eines Behandlungsfehlers, für dessen Vorliegen der Patient beweisbelastet ist. Eine diesbezügliche dokumentationspflichtige Aufklärungspflicht ist hierin nicht zu sehen. Ein Befunderhebungsfehler, der aus einem nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum resultiert, stellt aufgrund der sog. Sperrwirkung des Diagnoseirrtums keine Haftungsgrundlage wegen eines Behandlungsfehlers dar.
Beweislast bei unzureichender Aufklärung über Behandlungsalternativen
ArzthaftungsrechtOLG Dresden, Urteil vom 19.07.2023, Az.: 4 U 245/23
Der Patient ist im Rahmen einer unzureichenden Aufklärung über Behandlungsalternativen beweispflichtig dafür, dass er bei pflichtgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte und der mit dem tatsächlich durchgeführten Eingriff verbundene Schaden verhindert worden wäre. Eine Beweislastumkehr bezüglich des Kausalverlaufs ist auch bei Vorliegen einer „groben“ Verletzung der Aufklärungspflicht zu verneinen, mit der Folge, dass ein „grober Aufklärungsfehler“ nicht anerkannt wird. Es ist kein Sachgrund dafür ersichtlich, bezüglich der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht den Arzt insoweit beweismäßig schlechter zu stellen als bei einem Behandlungsfehler.
Beweislast bei Geltendmachung eines Anspruchs wegen ärztlichem Behandlungs- und Befunderhebungsfehler
ArzthaftungsrechtOLG Dresden, Beschluss vom 14.03.2023, Az.: 4 U 2288/22
Soweit der Patient neben dem Träger eines Krankenhauses auch einen dort beschäftigten Arzt in Anspruch nimmt, ist er verpflichtet, substantiiert einen Behandlungskontakt zu behaupten, falls sich dieser nicht aus den Behandlungsunterlagen entnehmen lässt. Steht ein grober Behandlungsfehler fest, obliegt dem Behandler die Beweislast für die Behauptung, der Schaden wäre auch bei rechtzeitigem und ausreichendem Handeln in gleicher Weise eingetreten. Hiervon ist auch dann auszugehen, wenn der Behandler beweist, dass bei ungehindertem Geschehensablauf das Ergebnis einer rechtzeitigen Befunderhebung erst nach dem tatsächlichen Schadenseintritt vorgelegen hätte. Ein einfacher Befunderhebungsfehler kann allenfalls dann zur Haftung führen, sofern die tatsächlich durchgeführte Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätte.