OLG Dresden, Beschluss vom 08.10.2019, Az.: 4 U 1052/19

Bei einer kosmetischen Operation, die medizinisch nicht zwingend geboten ist, reicht eine umfassende Risikoaufklärung nicht aus. Vielmehr gehört es zur besonderen Verantwortung des Arztes, seinem Patienten das Für und Wider mit allen Konsequenzen und Alternativen schonungslos vor Augen zu führen. Dies betrifft nicht nur die Risiken der vom Arzt konkret ins Auge gefassten Operationsmethode, sondern bereits die Wahl der Behandlungsmethode als solche. Hierzu gehört auch die Aufklärung über das Risiko chronischer, nicht lediglich vorübergehender Schmerzen infolge der Operation. Bei einer rein kosmetischen Operation ist in der Regel von der Plausibilität des vom Patienten behaupteten Entscheidungskonflikts auszugehen.

OLG Dresden, Beschluss vom 30.09.2019, Az.: 4 U 1291/19

Die Aufklärung über die Risiken des Eingriffs hat nur im Großen und Ganzen zu erfolgen. Insbesondere ist dabei nur über die wichtigsten Risiken des Eingriffs aufzuklären, die auch für die Lebensführung des Patienten besonders erhebliche Auswirkungen haben. Dass während einer Punktion jeweils unterschiedlich stark empfundene Schmerzen auftreten können, liegt auf der Hand und gehört auch, da es sich um eine einmalige und kurzzeitige besondere Belastung des Patienten handelt, nicht zu den im jedem Fall aufklärungsbedürfti­gen Risiken. Vor einer Kniegelenkspunktion ist daher nicht darüber aufzuklären, dass eine solche Punktion schmerzhaft sein kann. Auch bei einer unzureichenden Risikoaufklärung scheidet ein Schadenersatzanspruch aus, wenn nicht feststeht, dass der eingetretene Schaden durch den wegen der unwirksamen Einwilligung rechtswidrigen Eingriff verursacht worden ist.

OLG Dresden, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 4 U 1141/19

Es stellt einen Aufklärungsmangel dar, einen Morbus Sudeck als vegetative Reizerscheinung zu verharmlosen. Ein echter Entscheidungskonflikt des Patienten, der die Berufung des Arztes auf eine hypothetische Einwilligung ausschließt, kann dann ausscheiden, wenn der Pa­tient sich mehreren vorausgegangenen Eingriffen unterzogen hat, bei denen er über vergleich­bare Risiken aufgeklärt worden war. Zur Feststellung eines ernsthaften Entschei­dungs­konfliktes bedarf es einer wertenden Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles. Maß­geblich sind neben dem Leidensdruck und der Risikobereitschaft des Patienten insbe­son­de­re die Dringlichkeit des Eingriffs und die Erwartungen eines umfassend aufgeklärten Patienten vor dem Eingriff.

OLG Hamm, Urteil vom 19.11.2019, Az.: 26 U 30/19

In der Gefäßchirurgie gilt der Grundsatz: Eine akute Ischämie (Gefäßverschluss) ist akut zu behandeln. Wird der Versuch einer Rekanalisierung der Arterie nicht rechtzeitig unternom­men, kann das als grober Behandlungsfehler zu werten sein. Das ist jedenfalls dann anzu­neh­men, wenn mit dem zögerlichem Verhalten dem Patienten die einzige Chance zum Erhalt einer Hand genommen wird. Die verspätete Behandlung der Durchblutungsstörungen kann sich daher als gravierender Fehler darstellen, bei dem eindeutig gegen bewährte ärztliche Be­handlungsregeln und gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen worden ist, und der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlech­terdings nicht unterlaufen darf. Für den Teilverlust der rechten Hand bei Entfernung des Dau­mens, des Zeigefingers und Teile des Mittelfingers kann ein Schmerzensgeld von 50.000,- Euro angemessen sein.

OLG Dresden, Urteil vom 05.11.2019, Az.: 4 U 390/18

Ein psychiatrisches Gutachten zur Feststellung der Berufsunfähigkeit genügt den Anfor­de­run­gen nicht, wenn es lediglich auf ärztliche Zeugnisse Bezug nimmt, die allein die Angaben des Versicherungsnehmers referieren. Dem Gutachten muss sich in jedem Fall die einge­hen­de Exploration des Patienten und eine kritische Überprüfung der Beschwerdeschilderung entnehmen lassen.

SG Osnabrück, Urteil vom 18.12.2019, Az.: S 30 SB 543/17

Das SG Osnabrück hat entschieden, dass ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) nicht besteht, wenn kein mobilitätsbezogener Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 besteht.

Dies gelte auch, wenn das Merkzeichen begehrt werde, um eine Gangunsicherheit oder Stürze zu vermeiden, so das Sozialgericht.

Die 1939 geborene Klägerin leidet unter Verschleißveränderungen im Bereich der Wirbel­säu­le, der Hüft-, Knie- und Fußgelenke. Das beklagte Land Niedersachsen hatte auf Antrag der Klägerin hierfür zunächst einen GdB von 50 und später – da zusätzlich eine Schwer­hörig­keit geltend gemacht wurde – insgesamt einen GdB von 80 anerkannt. Zudem erkannte das Land die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßen­ver­kehr), „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) sowie „B“ (Notwendig­keit einer Begleitperson) an; das Merkzeichen „aG“ lehnte der Beklagte jedoch ab.


Mit ihrer wegen dieses Merkzeichens erhobenen Klage machte die Klägerin weiter geltend, dass ihr die Fortbewegung im öffentlichen Raum ohne Hilfe nicht möglich sei. Sie sei auf fremde Hilfe durch eine Begleitperson und einen Rollstuhl angewiesen.

Das SG Osnabrück führte aus, dass nach § 229 Abs. 3 Satz 1 SGB IX für das Merkzeichen „aG“ eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GdB von min­destens 80 bestehen müsse. Dabei setze das Merkzeichen nicht voraus, dass der schwerbe­hinderte Mensch nahezu unfähig sein müsse, sich auf seinen Beinen fortzube­wegen. Viel­mehr sei weiterhin erforderlich, aber auch ausreichend, dass der schwerbehinderte Mensch – selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel – praktisch von den ersten Schritten außer­halb eines Kraftfahrzeuges an nur mit fremder Hilfe oder nur mit äußerster Anstreng­ung gehen könne oder sein Restgehvermögen so unbedeutend sei, dass er schon nach kürzes­ter Strecke schmerz- und/oder erschöpfungsbedingt eine Pause einlegen müsse, bevor er weitergehen könne. Das Sozialgericht hat Bezug genommen auf die ständige Rechtspre­chung des BSG (vgl. BSG, Urt. v. 16.03.2016 – B 9 SB 1/15 R), wonach aufgrund der be­grenzten städtebau­lichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, an die Vergabe des Merk­zei­chens „aG“ hohe Anforderungen zu stellen seien, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten. Bei der Klägerin bestehe zwar ein GdB von 80, dieser sei jedoch nicht nur mobilitäts­bezogen. Die Funktionseinschränkungen, die sich auf ihre Mobi­lität auswirkten, bedingten insgesamt nur einen GdB von 50.

Ferner sei darauf hinzuweisen, dass auch aus präventiven Gründen (beispielsweise zur Vermeidung eines Sturzes) das Merkzeichen „aG“ nicht festgestellt werden könne. Der Klägerin sei wegen der Gangunsicherheit das Merkzeichen „B“ zuerkannt worden. Sinn und Zweck des Merkzeichens „aG“ sei es nicht, der Begleitperson, deren Erforderlichkeit bereits durch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „B“ Rechnung getragen worden sei, eine weitere Erleichterung zu verschaffen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.


Quelle: Pressemitteilung des SG Osnabrück v. 18.12.2019