OLG Dresden, Urteil vom 25.07.2023, Az.: 4 U 659/23

Die Verletzung der Pflicht zur therapeutischen Sicherungsaufklärung umfasst den Vorwurf eines Behandlungsfehlers, für dessen Vorliegen der Patient beweisbelastet ist. Eine diesbezügliche dokumentationspflichtige Aufklärungspflicht ist hierin nicht zu sehen. Ein Befunderhebungsfehler, der aus einem nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum resultiert, stellt aufgrund der sog. Sperrwirkung des Diagnoseirrtums keine Haftungsgrundlage wegen eines Behandlungsfehlers dar.

OLG Dresden, Urteil vom 19.07.2023, Az.: 4 U 245/23

Der Patient ist im Rahmen einer unzureichenden Aufklärung über Behandlungsalternativen beweispflichtig dafür, dass er bei pflichtgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte und der mit dem tatsächlich durchgeführten Eingriff verbundene Schaden verhindert worden wäre. Eine Beweislastumkehr bezüglich des Kausalverlaufs ist auch bei Vorliegen einer „groben“ Verletzung der Aufklärungspflicht zu verneinen, mit der Folge, dass ein „grober Aufklärungsfehler“ nicht anerkannt wird. Es ist kein Sachgrund dafür ersichtlich, bezüglich der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht den Arzt insoweit beweismäßig schlechter zu stellen als bei einem Behandlungsfehler.

OLG Dresden, Beschluss vom 14.03.2023, Az.: 4 U 2288/22

Soweit der Patient neben dem Träger eines Krankenhauses auch einen dort beschäftigten Arzt in Anspruch nimmt, ist er verpflichtet, substantiiert einen Behandlungskontakt zu behaupten, falls sich dieser nicht aus den Behandlungsunterlagen entnehmen lässt. Steht ein grober Behandlungsfehler fest, obliegt dem Behandler die Beweislast für die Behaup­tung, der Schaden wäre auch bei rechtzeitigem und ausreichendem Handeln in gleicher Weise eingetreten. Hiervon ist auch dann auszugehen, wenn der Behandler beweist, dass bei ungehindertem Geschehensablauf das Ergebnis einer rechtzeitigen Befunderhebung erst nach dem tatsächlichen Schadenseintritt vorgelegen hätte. Ein einfacher Befunderhebungs­feh­ler kann allenfalls dann zur Haftung führen, sofern die tatsächlich durchgeführte Befund­erhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätte.

OLG Hamm, Urteil vom 20.12.2022, Az.: 26 U 15/22

Die vorschnelle Aufgabe der Diagnose einer akuten Suizidalität kann zu einem groben ärzt­lichen Behandlungsfehler führen. Die akute Suizidgefahr führt zu einer gesteigerten Siche­rungspflicht des Behandlers. Die Dokumentation des Inhalts eines Patientengesprächs in seinen wesentlichen Einzelheiten entspricht dem Goldstandard der Psychiatrie. Diese dient der Gewährleistung des gleichen Informationsstands für das gesamte Behandlungsteam.

OLG Oldenburg, Urteil vom 14.12.2022, Az.: 5 U 70/19

Nicht jede Neuerung innerhalb eines etablierten Prinzips ist als eine aufklärungspflichtige Neu­landmethode anzusehen. Ob es sich um eine Neulandmethode handelt oder um die blo­ße, nicht gesondert aufklärungspflichtige, Varianz eines etablierten Prinzips, ist danach zu bestimmen, ob der ärztliche Behandler unter Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteres­sen des Patienten bei Anwendung der Methode ex ante mit der ernsthaften Möglichkeit zu rechnen hatte, dass eine derartige Abweichung der Methode von den anderen etablierten Me­­­thoden vorliegt, dass mit ihr weitere, unbekannte Risiken verbunden sein könnten. Band­scheibenprothesen mit viskoelastischem Kern stellen ein etabliertes Prinzip dar. Die Verwen­dung von derartigen Prothesen mit Deckplatten aus Polycarbonat (Cadisc) statt aus Titan ist die bloße Varianz eines etablierten Prinzips. Diese unterliegt keiner gesonderten Aufklä­rungs­pflicht.

OLG Hamm, Urteil vom 20.12.2022, Az.: 26 U 46/21

An die Aufklärung im Rahmen einer Hüft-TEP sind besondere Anforderungen zu stellen, wenn im Vergleich zu einer normalen Hüftendoprothetik vermehrte Beschwerden möglich sind. Der aufklärende Arzt hat in der Lage zur Vermittlung dieser besonderen Risiken zu sein. Dieses ist zu bejahen, wenn er schon bei entsprechenden Operationen mitgewirkt hat. Soweit der aufklärende Arzt nicht über den entsprechenden Kenntnisstand verfügt, bleibt die Aufklärung defizitär.

BGH, Urteil vom 20.12.2022, Az.: VI ZR 375/21

§ 630e BGB enthält Grundsätze zur Selbstbestimmungsaufklärung des Patienten. Gemäß § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB ist der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff derart rechtzeitig aufzuklären, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff spre­chen­den Gründe seine Entscheidungsfreiheit und demzufolge sein Selbstbestimmungsrecht an­ge­messen ausüben kann. Die Bestimmung beinhaltet keine vor der Einwilligung einzuhal­ten­de „Sperrfrist“, deren Nichteinhaltung eine Unwirksamkeit der Einwilligung nach sich füh­ren würde. Darüber hinaus enthält sie auch kein Erfordernis, nach welchem zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste. Der Patient ist nach ordnungsge­mäßer rechtzeitiger Aufklärung berechtigt, seine Entscheidung über die Erteilung oder Ver­sa­gung seiner Einwilligung selbst bestimmt zu treffen, ggf. auch sofort. Eine andere Beur­tei­lung ist, sofern medizinisch vertretbar, jedoch dann geboten, wenn für den Arzt erkennbare konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient noch Zeit für seine Entscheidung be­darf. Die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff stellt kein Rechtsgeschäft dar, sondern viel­mehr eine Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen. Diese kann sich konkludent aus den Umstän­den und dem gesamten Verhalten des Patienten ergeben.

BGH, Urteil vom 20.12.2022, Az.: VI ZR 375/21

§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB kodifiziert die bisherige BGH-Rechtsprechung, der zufol­ge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in ange­messener Weise wahrnehmen kann. Die Bestimmung sieht keine vor der Einwilligung einzuhaltende „Sperrfrist“ vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwil­li­gung führen würde. Sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste.

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Der Kläger litt im Jahr 2013 an chronisch rezidivierenden Ohrentzündungen und Paukenergüssen. Er wurde von dem ihn behandelnden Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde im Hinblick auf eine mögliche Ohroperation (Mastoidektomie) in die HNO-Klinik des von der Beklagten betriebe­nen Klinikums überwiesen und dort am 28.10.2013 von Prof. Dr. N. untersucht. Dieser riet dem Kläger, in einem ersten Schritt zur Optimierung der Nasenluftpassage die Nasenschei­dewand begradigen und die Nebenhöhlen sanieren zu lassen. Am 01.11.2013 wurde der Kläger von der Ärztin A. über die Risiken des beabsichtigten Eingriffs aufgeklärt. Im An­schluss an das Aufklärungsgespräch unterzeichnete er das Formular zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff. Am 04.11.2013 wurde der Kläger stationär aufgenommen und der Eingriff durchgeführt. Intraoperativ trat eine stärkere arterielle Blutung auf. Postoperativ war der Kläger nicht erweckbar. Im CT zeigte sich eine Hirnblutung. Bei der daraufhin erfolgten neurochirurgischen Intervention wurde festgestellt, dass es bei dem ersten Eingriff zu einer Verletzung der Dura, der vorderen Hirnschlagader und zu einer Durchtrennung des Riech­nervs links gekommen war. Der Kläger wurde in der Folgezeit umfassend stationär und am­bu­lant behandelt. Mit der Behauptung, die Operation vom 04.11.2013 sei fehlerhaft vorberei­tet und durchgeführt worden und er sei unzureichend aufgeklärt worden, hat der Kläger die Beklagte auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG mit Grund- und Teilurteil den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des Schadens aus der ärztlichen Behandlung durch die Beklagte vom 04.11.2013 bis zum 05.01.2014 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Mit der Begründung des Berufungsgerichts könne kein Schadensersatzanspruch des Klä­gers bejaht werden. Der Senat teilt nicht die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe in den ärztlichen Eingriff vom 04.11.2013 nicht wirksam eingewilligt. Der Senat erläu­tert, dass ein Arzt zwar grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betref­fenden nachteiligen Folgen haftet, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirk­same Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist und den Arzt insoweit ein Verschulden trifft. Er betont außerdem, dass eine wirksame Einwilligung des Patienten gemäß § 630d Abs. 2 BGB dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraussetzt. Im konkreten Fall habe die dem Kläger erteilte Aufklärung in inhaltlicher Hinsicht den an sie zu stellenden Anforderungen gemäß § 630e Abs. 1 BGB entsprochen. Der BGH folgt hier jedoch nicht der Auffassung des Berufungsgerichts, die vom Kläger am 01.11.2013 erklärte Einwilligung in den ärztlichen Eingriff vom 04.11.2013 sei unwirksam, weil ihm unter Verstoß gegen § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB keine Bedenkzeit zwischen der Aufklärung über die Risiken des Ein­griffs und seiner Entscheidung über die Einwilligung in den Eingriff eingeräumt worden sei. Nach Auffassung des Senats kodifiziert diese Vorschrift die bisherige BGH-Rechtsprechung, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungs­recht in angemes­se­ner Weise wahrnehmen kann. Nach Worten des Senats gelten diese Grundsätze inhaltlich unverändert fort. Aus Sicht des BGH sieht § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB hierbei keine vor der Einwilligung einzuhaltende „Sperrfrist“ vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde. Die Vorschrift enthält nach Überzeugung des Senats kein Erfor­der­nis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müss­te. Entscheidend sei, ob der Patient unter den jeweils gegebenen Umständen ausreichend Gelegenheit habe, innerlich frei darüber zu entscheiden, ob er sich der beabsichtigten medi­zini­schen Maßnahme unterziehen wolle oder nicht. Im konkreten Fall sei der ärztliche Eingriff vom 04.11.2013 durch eine wirksame Einwilligung des Klägers gedeckt. Der BGH hat daher im Ergebnis die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur neuen Verhand­lung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

BGH, Beschluss vom 21.06.2022, Az.: VI ZR 310/21

Genügt die Aufklärung im Rahmen eines Behandlungsvertrages nicht die an sie zu stellen­den Anforderungen, kann sich der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Im Falle eines dann entstehenden Entscheidungskonflikts, falls ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden wären, darf der im Anschluss entscheidende Tatrichter Feststellungen darüber, wie sich der Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen. Denn durch die persönliche Anhörung soll vermieden werden, dass das Tatgericht für die Verneinung eines Entscheidungskonflikts vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als naheliegend oder vernünftig erscheint, ohne die persönlichen, möglicherweise weniger naheliegenden oder als unver­nünftig erscheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu ziehen.

OLG Dresden, Beschluss vom 13.09.2022, Az.: 4 U 583/22

Die fehlende Dokumentation des Beschwerdeverlaufs in einer Behandlungsdokumentation, mit der Folge, dass sich nicht einschätzen lässt, ab welchem Zeitpunkt die Indikation zu einer Operation bestand, führt auch dann nicht zu der Vermutung eines Behandlungsfehlers, wenn nähere Aufzeichnungen in medizinischer Sicht geboten gewesen wären. Ein Anscheinsbe­weis ist im Arzthaftungsrecht nur bei konkreten Anhaltspunkten für einen Behandlungsfehler in Betracht zu ziehen.