BGH, Urteil vom 20.02.2019, Az.: VIII ZR 7/18
Den entschiedenen vier Fällen liegen
Rückforderungsbegehren privater Krankenversicherer aus übergegangenem Recht der
bei ihnen versicherten Patienten zugrunde. Die Patienten haben an den
jeweiligen Krankenhausträger Umsatzsteuer für die durch die hauseigenen
Apotheken patientenindividuell erfolgte Herstellung von Zytostatika
(Krebsmedikamenten zur Anwendung in der Chemotherapie), die im Rahmen
ambulanter Krankenhausbehandlungen verabreicht wurden, gezahlt. Für die Abgabe
solcher Medikamente an in den Jahren 2012 und 2013 ambulant in den
Krankenhäusern behandelte Patienten stellten die beklagten Krankenhausträger
jeweils Rechnungen aus, die eine Umsatzsteuer in Höhe von 19 % auf den
Abgabepreis entweder gesondert auswiesen oder miteinschlossen. Die
Finanzbehörden und die maßgeblichen Verkehrskreise gingen zum damaligen
Zeitpunkt von einer entsprechenden Umsatzsteuerpflicht aus. Den in den
Rechnungsbeträgen enthaltenen Umsatzsteueranteil führten die beklagten
Krankenhausträger an die zuständigen Finanzämter ab. Dass die Umsatzsteuerfestsetzungen
bestandskräftig geworden seien, haben die Beklagten nicht geltend gemacht. Die
Krankenversicherer der Patienten erstatteten diesen die Rechnungsbeträge nach
Maßgabe der jeweils geschlossenen Versicherungsverträge vollständig oder
anteilig.
Im Jahr 2014 erging ein Urteil des BFH (Urteil
vom 24.09.2014, Az.: V R 19/11), wonach die Verabreichung individuell für den
einzelnen Patienten in einer Krankenhausapotheke hergestellter Zytostatika im
Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten Heilbehandlung als
ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 16b
UStG aF (= § 4 Nr. 14b UStG nF) steuerfrei ist. Im Jahr 2016 folgte ein
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (III C 3 – S 7170/11/10004), mit
dem dieses unter entsprechender Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
klarstellte, dass der Entscheidung des BFH in der Finanzverwaltung gefolgt
werde. Zugleich wies das Bundesministerium der Finanzen in dem genannten
Schreiben unter anderem auf die Möglichkeit einer Berichtigung der wegen
unrichtigen Ausweises der Steuer geschuldeten Beträge nach dem
Umsatzsteuergesetz und auf einen dann eintretenden rückwirkenden Ausschluss der
hierauf bezogenen Vorsteuerabzüge hin.
Die Berufungsgerichte sind mit verschiedenen
Begründungsansätzen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, wobei sie sich im
Schwerpunkt damit zu befassen hatten, welchen Inhalt die jeweiligen
vertraglichen Preisabreden zwischen den Krankenhausträgern und den Patienten
und welche Auswirkungen die Entscheidung des BFH und das Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen auf diese Vereinbarungen haben.
In dem Verfahren VIII ZR 7/18 hat das
Berufungsgericht eine stillschweigend zustande gekommene Bruttopreisabrede
bejaht, also die Umsatzsteuer als unselbständigen Vergütungsanteil bewertet. Es
hat dann aber eine Anpassung des Vertrags wegen Störung der Geschäftsgrundlage
angenommen und den beklagten Krankenhausträger zur vollständigen Rückzahlung
der entrichteten Umsatzsteueranteile verurteilt. Demgegenüber ist das
Berufungsgericht in der Sache VIII ZR 66/18 von Nettopreisabreden ausgegangen
und hat angenommen, dass der zu Unrecht gezahlte Umsatzsteueranteil infolge
seiner Selbständigkeit von vornherein nicht geschuldet gewesen und daher nach Bereicherungsrecht
zurückzugewähren sei. In dem Rechtsstreit VIII ZR 115/18 hat das
Berufungsgericht dem beklagten Krankenhausträger ein bis zur Grenze der
Unbilligkeit bindendes Preisbestimmungsrecht zugestanden, das dieser in Form
einer Bruttopreisabrede wirksam ausgeübt habe. Dementsprechend hat es einen
Rückforderungsanspruch des klagenden Krankenversicherers verneint. In dem
Verfahren VIII ZR 189/18 hat sich das Berufungsgericht mit dem Charakter der
Preisabreden nicht näher befasst, wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage
aber einen Rückforderungsanspruch bezüglich der zu Unrecht entrichteten
Umsatzsteuer dem Grunde nach bejaht, diesen allerdings in der Höhe des
drohenden Wegfalls des vorgenommenen Vorsteuerabzugs gekürzt.
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige
VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sämtliche Berufungsurteile
aufgehoben und die Sachen an das jeweilige Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die jeweils getroffenen Vereinbarungen zwischen Patient und Krankenhausträger
über die Vergütung für die Verabreichung von Zytostatika sind als
Bruttopreisabreden einzuordnen, bei denen der darin eingeschlossene –
tatsächlich aber nicht angefallene – Umsatzsteueranteil nur einen
unselbständigen und damit (anders als bei einer Nettopreisabrede) nicht
automatisch rückforderbaren Vergütungsbestandteil darstellt. Denn die Annahme
einer Nettopreisvereinbarung setzt eine – hier nicht gegebene –
unmissverständliche Übereinkunft dahin voraus, dass der Umsatzsteueranteil nur
gezahlt werden muss, wenn und soweit er steuerrechtlich geschuldet ist. Über
die konkrete Höhe der (Bruttopreis-)Vergütungen haben sich die Vertragsparteien
hier spätestens durch Rechnungstellung und vorbehaltlose Zahlung
stillschweigend geeinigt. Anders als teilweise angenommen, wurde den
Krankenhausträgern nicht ein Recht zu einer – bis zur Grenze der Unbilligkeit
bindenden – einseitigen Preisbestimmung eingeräumt. Ein solches widerspräche
dem (wirklichen oder mutmaßlichen) Willen und den Interessen der Beteiligten.
Die getroffenen Bruttopreisabreden hindern
jedoch eine (teilweise) Rückforderung des gezahlten Umsatzsteueranteils nicht.
Denn im Hinblick auf das Urteil des BFH aus dem Jahr 2014 und das diese
Rechtsprechung (auch) rückwirkend für anwendbar erklärende Schreiben des Bundesministeriums
der Finanzen vom September 2016 ist es den Krankenhausträgern nunmehr möglich,
die zunächst an das Finanzamt abgeführten Umsatzsteuerbeträge – ohne auf eine
finanzgerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche angewiesen zu sein –
nachträglich zurückzufordern. Dies führt unter bestimmten Umständen dazu, dass
die Preisvereinbarungen eine planwidrige Regelungslücke aufweisen, die im Wege
der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist. Hierfür ist maßgebend, ob
die Vertragsparteien bei Kenntnis der – bereits zum Zeitpunkt der
Vertragsschlüsse bestandenen – wahren Steuerrechtslage sowie der daran
anknüpfenden rechtstatsächlichen Entwicklungen (Änderung der Steuerpraxis) als
redliche Vertragsparteien hypothetisch einen abweichenden Preis vereinbart
hätten. Diese hypothetisch vereinbarte Vergütung ist, da dem Krankenhausträger
bei der steuerrechtlichen Rückabwicklung auf jeden Fall ein etwaig bezüglich
der eingekauften Grundstoffe vorgenommener Vorsteuerabzug rückwirkend verloren
geht, nicht ohne weiteres mit dem Nettopreis gleichzusetzen. Vielmehr ist davon
auszugehen, dass die Vertragsparteien statt der angesetzten Vergütung
hypothetisch einen um die Differenz zwischen Umsatzsteueranteil und
vorgenommenem Vorsteuerabzug verminderten Preis vereinbart hätten.
Daher ist von den Berufungsgerichten – soweit
noch nicht geschehen – zu klären, ob und in welcher Höhe auf die getätigten
Umsätze bezogene Vorsteuerabzüge von den beklagten Krankenhausträgern
vorgenommen worden sind. Dagegen haben die Berufungsgerichte keine
Feststellungen zu dem den beklagten Krankenhausträgern bei einer Rückabwicklung
entstehenden, von diesen jeweils nicht näher konkretisierten Verwaltungsaufwand
zu treffen. Denn dieser hat für eine ergänzende Vertragsauslegung ebenso außer
Betracht zu bleiben wie auch der Umstand, dass die Patienten die Umsatzsteuer
nachträglich betrachtet für eine ungewisse Zeit „verauslagt“ haben.
In bestimmten Fällen können dem
Krankenhausträger allerdings erhebliche finanzielle Nachteile aus der
Festsetzung von Nachzahlungszinsen (§§ 233a, 238 AO) auf den rückwirkend
entfallenden Vorsteuerabzug drohen. Dies könnte dann der Fall sein, wenn die
Krankenhausträger – wie in den Verfahren VIII ZR 115/18 und VIII ZR 189/18 –
Rechnungen mit den in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 und 8, § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG
vorgesehenen Angaben (Nettoentgelt, Steuersatz, Steuerbetrag) ausgestellt haben
(gesonderter Umsatzsteuerausweis). Denn dann ist die Umsatzsteuer bis zu dem
Zeitpunkt der Rechnungskorrektur und Berichtigung des Steuerbetrags gegenüber
dem Finanzamt geschuldet (§ 14c Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG) und
somit von der Finanzverwaltung bis dahin nicht zugunsten des Krankenhausträgers
zu verzinsen. Demgegenüber hätten die Krankenhausträger bei strikter Anwendung
der Zinsvorschriften Zinsen auf die vorgenommenen (und nun rückwirkend
entfallenden) Vorsteuerabzüge bereits 15 Monate nach dem Zeitpunkt der
Steuerentstehung (2012, 2013) zu entrichten. Damit kann derzeit nicht
ausgeschlossen werden, dass die zulasten der Krankenhausträger auf die
nachzuentrichtenden Vorsteuerabzugsbeträge vom Finanzamt festzusetzenden Zinsen
der Höhe nach einen Betrag erreichen, der der Differenz zwischen gezahlter
Umsatzsteuer und entfallendem Vorsteuerabzug entspricht. Bei einer solchen Sachlage
hätten die Vertragsparteien aller Voraussicht nach keine abweichenden
Preisvereinbarungen getroffen, so dass eine ergänzende Vertragsauslegung
ausschiede.
Es ist daher in den Verfahren VIII ZR 115/18
und VIII ZR 189/18 von den Berufungsgerichten – gegebenenfalls durch Einholung
einer Auskunft der zuständigen Finanzämter – (weiter) zu klären, ob und in
welcher Höhe diese im Rahmen ihrer Spielräume Nachzahlungszinsen erheben
werden, die gegebenenfalls einer ergänzenden Vertragsauslegung und damit einem
bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch der Patienten entgegenstünden.
Quelle: Pressemitteilung
Nr. 17/2019 des BGH vom 20.02.2019