BGH, Urteil vom 18.05.2021, Az.: VI ZR 401/19

Bei der Anwendung einer (noch) nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungs­me­thode sind zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erhöhte Anforde­run­gen an dessen Aufklärung zu stellen. Dem Patienten müssen nicht nur das Für und Wider dieser Methode erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht oder noch nicht medizinischer Standard ist. Eine Neulandmethode darf nur dann am Patienten angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Gedankliche Voraus­setzung der hypothetischen Einwilligung ist die Hypothese einer ordnungsgemäßen, insbesondere auch vollständigen Aufklärung. Diese Hypothese ist auch der Beurteilung der Frage zugrunde zu legen, ob der Patient einen Entscheidungskonflikt plausibel gemacht hat. Der Tatrichter hat dem Patienten vor seiner zur Feststellung der Frage, ob dieser in einen Ent­scheidungskonflikt geraten wäre, grundsätzlich erforderlichen Anhörung mitzuteilen, wel­che Aufklärung ihm vor dem maßgeblichen Eingriff richtigerweise hätte zuteilwerden müs­sen. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechts­streit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von entscheidungserheblichen Einzeltatsachen hat. Beispielsweise darf sie vortragen, dass das behandelnde Krankenhaus und/oder der Arzt ein „Chargenrückrufschrei­ben“ des Herstellers erhalten hat, wenn sämtliche Chirurgen und Kliniken dieses Schreiben erhalten haben.

BGH, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 84/19

Die in § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB kodifizierte Pflicht zur therapeutischen Information ist Be­stand­teil der fachgerechten ärztlichen Behandlung. Hierzu zählt auch die Verpflichtung des Arztes, den Patienten über die Dringlichkeit etwa erforderlicher ärztlicher Maßnahmen in Kenntnis zu setzen und ihn auf die mit ihrem Unterbleiben verbundenen Risiken hinzuwei­sen. Versäumnisse auf diesem Gebiet sind Behandlungsfehler und deshalb grundsätzlich vom Patienten zu beweisen. Der Umfang der Dokumentationspflicht ergibt sich aus § 630f Abs. 2 BGB. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten. Einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, kommt keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist.

AG Köln, Urteil vom 26.05.2021, Az.: 146 C 128/17

Eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne der AVB der Privaten Krankenversi­che­rungen liegt vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnis­sen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztli­chen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Ob es vertretbar gewesen ist, die Heilbehandlung als notwendig anzusehen, könne nur anhand der im Einzelfall maß­geb­lichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehand­lung bestimmt werden. Von der medi­zi­ni­schen Notwendigkeit einer Behandlung wird im allgemeinen dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeig­net ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken.

Das AG Köln weist in diesem Urteil auch darauf hin, dass eine Übermaßbehandlung zum einen dann vorliegt, wenn eine Krankheit mit überflüssigen Maßnahmen bekämpft wird. Das Maß des medizinisch Notwendigen kann nach Auffassung des AG zum anderen auch über­schritten sein, wenn die Maßnahmen eine Besserung oder Linderung der Krankheit nicht mehr bewirken können, wobei das Wohlbefinden des Versicherungsnehmers aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Behandlung stattfindet, außer Betracht zu lassen ist.

BGH, Urteil vom 14.01.2021, Az.: III ZR 168/19

Maßgeblich für die Beurteilung der Notwendigkeit von Vorkehrungen zur Verhinderung einer Selbstschädigung durch den Bewohner eines Pflegeheims ist, ob aus der ex-ante-Sicht im Einzelfall wegen der körperlichen oder geistigen Verfassung des Heimbewohners ernsthaft damit gerechnet werden musste, dass er sich ohne das Treffen von Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte. Hierbei ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass bereits das bloße Bestehen einer Gefahrensituation, deren Verwirklichung recht unwahrscheinlich ist, aber besonders schweren Folgen nach sich ziehen kann, geeignet ist, entsprechende vor­beu­gende Sicherungspflichten des Heimträgers zu begründen. Aus diesem Grunde darf etwa ein an Demenz erkrankter Heimbewohner bei Vorliegen einer erkannten oder erkenn­baren Selbstschädigungsgefahr, bei dem es jederzeit zu unkontrollierten und unkal­kulier­ba­ren Handlungen kommen kann, nicht in einem Wohnraum mit unproblematisch erreichbaren und einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. Eine Pflicht zu besonderen Siche­rungsmaßnahmen besteht hingegen nicht, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung des Heimbewohners bestehen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18. Januar 2021, Az.: 13 U 389/19  

1. Wahlärztliche Leistungen gelten als Leistungen des Krankenhauses, wenn ein (leitender) Kran­kenhausarzt sein ihm vertraglich eingeräumtes Liquidationsrecht zur Behandlung von privat vers­i­cherten Patienten an das Krankenhaus abgetreten hat (sog. Beteiligungsmodell) oder die Ausübung des Liquidationsrechts im Rahmen des Anstellungsvertrages zur unmittelbaren Dienstaufgabe er­klärt wird, weswegen die vertragliche Regelung, wonach (auch) das Krankenhaus berechtigt ist, selbst wahlärztliche Leistungen angestellter bzw. verbeamteter Ärzte abzurechnen, nicht gegen § 134 BGB i.V.m. § 17 Abs. 3 KHEntgG verstößt.

2. Wahlleistungsvereinbarungen verstoßen bei der gebotenen Auslegung nicht gegen die §§ 305 ff BGB und sind insbesondere hinreichend bestimmt, wenn die Benennung von 24 Wahlärzten nebst (teils mehreren) Stellvertretern der hochgradigen Spezialisierung des Krankenhauses geschuldet, hierin kein unzumutbarer Vorbehalt einer Leistungsänderung nach § 308 Nr. 4 BGB zu sehen und der Vertretungsfall ausdrücklich auf den Fall der unvorhergesehenen Verhinderung beschränkt ist. Die Formulierung „Ärzte des Krankenhauses“ ist so auszulegen, dass damit (nur) angestellte und verbeamtete Ärzte des Krankenhauses gemeint sind. Die schlichte Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Regelung kann nicht nach § 307 Abs. 2 BGB beanstandet werden. Ein Hinweis auf das eigene Liquidationsrecht des Krankenhauses ist nicht irreführend sondern klarstellend. 

OLG München, Urteil vom 25.03.2021, Az.: 1 U 1831/18

§§ 630a ff. BGB gelten auch für Heilpraktiker. Widerspricht im Falle einer todbringenden Krankheit (hier: einem Karzinom) ein Heilpraktiker seinem Patienten bei dessen Entschei­dung zum Abbruch der schulmedizinisch indizierten Therapie (hier: Strahlentherapie) zu­gunsten einer nicht evidenzbasierten Maßnahme der Alternativmedizin (hier: Horvi-Schlan­gengift-Therapie) nicht mit Nachdruck, so kann hierin auch dann ein Behandlungsfehler des Heilpraktikers in Gestalt einer Fehlers der therapeutischen Aufklärung liegen, wenn die behandelnden Ärzte den Patienten über die Wahrscheinlichkeit des Todes im Falle des Abbruchs der schulmedizinischen Behandlung aufgeklärt haben.

Das OLG München weist darauf hin, dass die Beweislastumkehr wegen eines groben Behandlungsfehlers grundsätzlich auch in den Fällen einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung greift (BGH, Urteil vom 16.11.2004 – VI ZR 328/03). Das OLG erläutert, dass die Beweislastumkehr trotz der Grobheit des Fehlverhaltens des Behandlers jedoch nicht greift, wenn der Patient durch eigenes sorgloses Verhalten im gleichen Maße wie der Behandler eine erfolgreiche Behandlung erschwert hat (BGH, a.a.O.). Es kommt in einem solchen Fall nach der Ansicht des OLG auch in Betracht, § 254 BGB anzuwenden.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 22.12.2020, Az.: 8 U 142/18

Der Kläger macht für seine verstorbene Ehefrau Schmerzensgeld gegen den behandelnden Arzt geltend. Die Patientin war im Herbst 2010 wegen undefinierbarer Schmerzen in einem bereits geschwollenen rechten Oberschenkel in die orthopädische Fachpraxis des Beklagten überwiesen worden. Dort wurden im Oktober lediglich ein Hämatom diagnostiziert und Schmerz­mittel verordnet. Erst Ende November veranlasste der Beklagte eine MRT-Unter­su­chung. Jetzt wurde ein Tumor diagnostiziert, der im Dezember reseziert wurde. Nachdem bereits im Februar 2011 eine Metastase gefunden worden war, konnte der Krebs nicht mehr eingedämmt werden. Die Patientin verstarb im August 2012.

Das LG hatte ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € zugesprochen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung verurteilte das OLG den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgel­des von 50.000 €. Der Beklagte hafte für die durch sein Fehlverhalten entstandenen Schä­den, da er die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen habe. Der Tumor hätte gemäß den Angaben des Sachverständigen bereits Ende Oktober erkannt werden können. Bei einer um einen Monat früheren Diagnose wäre die statistische Prognose der Patientin um 10-20 % besser gewesen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes seien „einerseits der Leidensweg der Patientin bis zu ihrem Tod, aus dem sich insbesondere die Heftigkeit und Dauer ihrer Schmerzen ab­lesen lasse, und andererseits ihr Alter und ihre familiäre Situation, die Rückschlüsse auf die erlittene Lebensbeeinträchtigung zulassen,“ zu berücksichtigen. Schwerpunkt der Schmer­zensgeldbewertung sowohl hinsichtlich der körperlichen als auch psychischen Lebensbeein­träch­tigungen sei der Zeitraum ab Bekanntwerden der ersten Metastase. Ab diesem Zeit­punkt sei das dem Beklagten nicht zurechenbare Grundleiden mit den damit verbundenen Beschwerden und Einschränkungen immer weiter in den Hintergrund getreten. Die Patientin habe ihre Chancen auf eine Genesung zunehmend schwinden sehen und sich auf den im­mer konkreter bevorstehenden Tod einstellen müssen. Die klägerische Darstellung ihres letzten Lebensabschnittes mit schrecklichen Schmerzen, Verzweiflung und Todesangst sei unmittelbar nachvollziehbar und entspreche den „allgemein bekannten furchtbaren Erleb­nissen von Menschen mit einer Krebserkrankung im Endstadium.“ Grundlage der Bemes­sung sei damit hier, dass sich eine 70 Jahre alte verheiratete Frau mit zwei Kindern und zwei Enkelkindern wegen Metastasen zunehmend Sorgen um ihr Leben machen und diversen körperlich und psychisch belastenden medizinischen Eingriffen unterziehen musste. Ab Anfang 2012 sei ihr Kampf ums Überleben immer verzweifelter geworden, die letzten ihr verbleibenden acht Monate seien leidensgeprägt und mit entsetzlichen Schmerzen verbun­den gewesen.

Für einen solchen Leidensweg sei hier ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 € angemessen. Dabei seien folgende Aspekte zu berücksichtigen: Die Leidensdauer von ca. anderthalb Jahren sei im Vergleich zu anderen Fällen eher gering. Auch die erlittene Lebensbeeinträch­ti­gung sei bei einer 70 Jahre alten Personen typischerweise unterdurchschnittlich, da man in diesem Alter „die zentralen erfüllenden Momente des Lebens“ noch erleben konnte. Die Patientin hätte voraussichtlich ohne den Fehler zwar noch eine ganze Reihe von Jahren leben können. Ihr Leben sei aber erst zu einem Zeitpunkt beeinträchtigt worden, zu dem sie persönlich allein schon wegen ihrer Grunderkrankung „erhebliche Einschränkungen im Sport- und Freizeitbereich hätte hinnehmen müssen und zu dem sich statistisch alsbald weitere altersbedingte gesundheitliche Probleme hinzugesellt hätten.“ Sie habe schließlich keine schutzbedürftigen Angehörigen zurücklassen müssen.

Hinsichtlich der Grunderkrankung selbst habe der Beklagte allenfalls eine nicht näherungs­weise bestimmbare Verschlechterung zu vertreten, so dass die damit verbundenen Schmer­zen ihm nur sehr eingeschränkt zugerechnet werden könnten. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes spiele vorliegend keine Rolle, auch das Grad des Verschuldens des Beklagten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien seien von untergeordneter Bedeutung.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung wurde Nichtzulassungsbe­schwerde beim BGH eingelegt (Az. VI ZR 39/21).

Quelle: Pressemitteilung Nr. 13/2021 des OLG Frankfurt am Main vom 02.03.2021

OLG Köln, Urteil vom 28.04.2021, Az.: 5 U 151/18

Bei einer Arthrose des Fingergrundgelenks kann eine Arthrodese gegenüber der Implan­ta­tion einer Fingergrundgelenksprothese eine echte Behandlungsalternative darstellen, über die der Patient aufzuklären ist. Im vertraulichen Arzt-Patienten-Gespräch muss erörtert und geklärt werden, welche mit den verschiedenen Operationsverfahren verbundenen Vor- und Nachteile für den Patienten in seiner konkreten Situation von Bedeutung sind. Die Behaup­tungs- und Beweislast dafür, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte, trifft nicht den Patienten, son­dern den Arzt. Der Arzt ist jedoch erst dann beweisbelastet, wenn der Patient zur Über­zeu­gung des Gerichts plausibel macht, dass er – wären ihm die unterschiedlichen Behand­lungsmöglichkeiten aufgezeigt worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte.