BSG, Urteil vom 19.07.2023, Az.: B 6 KA 5/22 R

Im Falle der Nichtaufnahme bzw. Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist stets vorrangig vor einer Zulassungsentziehung zu prüfen, ob ein bloßes Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs. 5 SGB V i.V.m. § 26 Ärzte-​ZV in Betracht kommt, da die (Wieder-​)Aufnahme der Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten ist und dem Ruhen Gründe der Sicherstel­lung der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen. Nicht erforderlich ist, dass die Wiederaufnahme am alten Vertragsarztsitz (§ 95 Abs. 1 Satz 5 SGB V) erfolgen soll. Auch kann dahinstehen, ob zu dem Zeitpunkt der Antragstellung auf Sitzverlegung noch ein hinrei­chendes Praxissubstrat vorhanden war. Dies ist keine Voraussetzung für die Genehmigung der Verlegung eines Vertragsarztsitzes. Wird ein Sitzverlegungsantrag gestellt, der nicht von vorneherein ohne Aussicht auf Erfolg ist, muss dieser in die zu treffende Prognoseentschei­dung einbezogen werden. Dabei steht der Ruhensanordnung nicht entgegen, wenn der Praxisinhaber oder das MVZ seine Tätigkeit am alten Standort bereits eingestellt hatte, als der Antrag auf Genehmigung der Sitzverlegung gestellt wurde. Ein Ruhen der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung kann auch dann angeordnet werden, wenn ein MVZ aufgrund der Nichtausübung der Tätigkeit mehr als sechs Monate nicht fachübergreifend tätig war.

EuGH, Urteil vom 26.10.2023, Az.: C-307/22

Patienten haben gegenüber einem Behandler Anspruch darauf, dass ihnen eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Gemäß § 630f des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) ist der Behandelnde verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Der Behandelnde hat die Patientenakte für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach anderen Vorschriften andere Aufbewahrungsfristen bestehen.

OLG Saarbrücken, Urteil vom 29.03.2023, Az.: 1 U 81/21

Soweit der Arzt eine Behandlungsmaßnahme infolge einer unzureichenden Aufklärung ohne wirksame Einwilligung des Patienten ausführt, liegt eine Verletzung seiner vertraglichen Pflichten vor. Zugleich stellt sich die durchgeführte Behandlungsmaßnahme als rechtswidrig i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB dar. Dies kann bei einem Patienten, der bei dieser Behandlung einen Schaden an Körper oder Gesundheit davongetragen hat, zu einem entsprechenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 249 ff., 253 Abs. 2 BGB führen, sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Als Haftungsvoraussetzung des behandelnden Arztes ist jedoch stets das Vorliegen einer nachweislichen Beeinträchtigung der Gesundheit des Patienten durch die Behandlung zu fordern. Kann ein gesundheitlicher Primärschaden nicht bereits aus der infolge einer unzureichenden Aufklärung pflicht- und rechtswidrigen Behandlungsmaßnahme selbst abgeleitet werden, hat der Nachweis eines solchen durch den Patienten, hier des ungeborenen Kindes, unter Zugrundelegung des Beweismaßes des § 286 Abs. 1 ZPO zu erfolgen. Soweit sich bei einer Geburtseinleitung mittels Misoprostol ausschließlich dasjenige spezifische Behandlungsrisiko verwirklicht, das der medikamentösen Geburtseinleitung gerade entspricht und über welches eine umfassende Aufklärung der Schwangeren erfolgte, ist eine Haftung des behandelnden Arztes wegen einer unzureichenden Risikoaufklärung ausgeschlossen. Eine Pflicht des geburtsleitenden Arztes zur vorgezogenen Aufklärung über eine sekundäre Sectio ist lediglich dann zu bejahen, wenn aus medizinischer Sicht ex ante aufgrund konkreter Umstände deutliche Anzeichen dafür vorliegen, dass der Geburtsvorgang einen derartigen Verlauf nehmen kann, als dass sich eine Schnittentbindung zu einer echten bis hin zu einer gebotenen vaginalen Entbindung entwickelt. Ein solcher Fall ist, wie vorliegend, nicht gegeben, wenn aus medizinischer Sicht ex ante lediglich eine leichte Erhöhung der Grundwahrscheinlichkeit für eine sekundäre Sectio anzunehmen ist.

OLG Dresden, Urteil vom 10.10.2023, Az.: 4 U 634/23

Einem Patienten steht kein Anspruch gegen den behandelnden Arzt auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gemäß §§ 630 a ff., 823 BGB zu, wenn zwar ein einfacher Diagnoseirrtum vorliegt, es dem Patienten jedoch nicht gelingt, den Beweis für die Kausalität der zeitlichen Verzögerung der Behandlung für den eingetretenen Schaden zu erbringen. Vorliegend hat der Radiologe, dem der betroffene Patient mit der Befundbeschreibung „Kopfschmerzen“ zum MRT überwiesen wurde, den sichtbaren und auffälligen Nebenbefund außerhalb des Gehirnschädels nicht hinreichend wahrgenommen. Soweit für den Arzt aus medizinischer Sicht selbst keine Verpflichtung zur Abklärung dieses Zufallsbefunds besteht, hat er diesen im Arztbrief an den überweisenden Behandler aufzunehmen. Sofern diese Mitteilung aus dem Grund unterbleibt, da der Radiologe den erkennbaren Nebenbefund übersieht, ist, wie hier, von einem Diagnosefehler und nicht von einem Behandlungsfehler auszugehen, der vorliegend als einfacher Behandlungsfehler einzustufen ist. Ein Fehler bei der Interpretation des erhobenen Befundes stellt jedoch lediglich dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und damit einen groben Diagnosefehler dar, sofern es sich hierbei um einen fundamentalen Irrtum handelt. Dem Patienten ist der Beweis für den Ursachenzusammenhang zwischen dem einfachen Diagnoseirrtum des Radiologen und dem bei ihm eingetretenen Schaden schon nicht gelungen, so dass ein Schmerzensgeldanspruch abzulehnen war.