OLG Hamm, Urteil vom 15.11.2016, Az.: 26 U 37/14

Wird aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein weiterer Eingriff erforderlich, der dem Patient bei korrektem medizinischem Vorgehen erspart geblieben wäre, hat der erstbehandelnde Arzt haftungsrechtlich für den weiteren Eingriff einzustehen. Dabei umfasst seine Einstandspflicht regelmäßig auch die Folgen eines Fehlers des nachbehandelnden Arztes. Der Zurechnungszusammenhang kann dann unterbrochen sein, wenn der zweitbehandelnde Arzt die ärztliche Sorgfaltspflicht in außergewöhnlich hohem Maße verletzt (besonders grober Behandlungsfehler). Die Annahme allein eines groben Behandlungsfehlers unterbricht den Zusammenhang dagegen nicht.

OLG Hamm, Urteil vom 11.11.2016, Az.: 26 U 111/15

Der 26. Zivilsenat des OLG Hamm hat einer heute 57 Jahre alten Klägerin die nach einer grob behandlungsfehlerhaften Operation ihrer Halswirbelsäule eine Querschnittslähmung erlitt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 Euro zugesprochen.

Die Klägerin litt über Jahre hinweg unter Rückenschmerzen, vorwiegend im Bereich der Lendenwirbelsäule. Ende des Jahres 2008 ließ sie sich im beklagten Krankenhaus untersuchen. Dort empfahl man eine operative Behandlung im Bereich der Halswirbelsäule durch die Implantation einer Bandscheibenprothese und die Versteifung (Fusion) mehrerer Wirbel. Unmittelbar nach der durchgeführten Operation litt die Klägerin an einer zunehmenden Schwäche aller vier Extremitäten, die durch eine Revisionsoperation nicht aufgehalten werden konnte und aus der sich eine irreversible Querschnittslähmung unterhalb des 3. Halswirbels entwickelte. Seitdem ist die Klägerin auf einen Rollstuhl und auf fremde Hilfe angewiesen.

Der Senat führte zur Begründung aus, dass aufgrund des im Prozess erstatteten medizinischen Sachverständigengutachtens fest stehe, dass im beklagten Krankenhaus unvollständige Befunde erhoben worden seien. Die zur differenzialdiagnostischen Abklärung erforderliche MRT-Untersuchung sei fehlerhaft unterblieben. Auch habe keine absolute Indikation für eine Operation bestanden. Die Möglichkeit einer weiteren konservativen Behandlung der Klägerin habe abgeklärt werden müssen. Darüber hinaus sei eine fehlerhafte Operationsmethode gewählt worden. Eine Fusion in unmittelbarer Nähe der einzubringenden Prothese sei kontraindiziert gewesen, das gelte auch für die Fusion über mehr als drei Wirbeletagen. Die unterlassene Befunderhebung sei bereits als grob fehlerhaft zu beurteilen, auch aus einer Gesamtschau mit den weiteren Fehlern in der Diagnostik und Operationsplanung ergebe sich eine grob fehlerhafte Behandlung. Durch diese sei es zu einer kompletten Querschnittslähmung der Klägerin unterhalb des 3. Halswirbels gekommen. Die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen der Klägerin rechtfertigen das Schmerzensgeld in der zuerkannten Höhe.

OLG Hamm, Urteil vom 11.11.2016, Az.: 26 U 111/15

Ist vor einer HWS-Operation eine neurologische Untersuchung geboten und unterbleibt diese, ist die Operation nicht indiziert. Die Vornahme eines schwerwiegenden operativen Eingriffs ohne zuvor gesicherte Diagnose kann als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein. Es kann hierbei unbeachtlich sein, dass eine Querschnittlähmung des operierten Patienten nicht unmittelbar auf einem Behandlungsfehler bei Durchführung der Operation selbst beruht, sondern auf einer Komplikation wegen des aufgetretenen Hämatoms. Nachdem schon die Vornahme der Operation an sich und zudem die gewählte Operationsmethode (grob) fehlerhaft gewesen ist, kommt es hierauf nicht an. In einem solchen Fall kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000,00 Euro angesichts der schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen nicht zu beanstanden sein.

BGH, Urteil vom 03.11.2016, Az.: III ZR 286/15

Einem Zahnarzt kann gegen einen gesetzlich krankenversicherten Patienten ein vertraglicher Anspruch aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit einem genehmigten Heil- und Kostenplan auf Zahlung eines Eigenanteils an den Behandlungskosten für zahnprothetische Leistungen zustehen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Parteien keine wirksame Honorarvereinbarung getroffen haben, da der der Behandlung zugrunde liegende Heil- und Kostenplan nicht der Form des § 2 Abs. 3 S. 1 GOZ genügt und deshalb nach § 125 S. 1 i.V.m. § 126 Abs. 2 S. 1 BGB nichtig ist und wenn die Berufung des Patienten auf die Formunwirksamkeit des Heil- und Kostenplans jedoch gegen Treu und Glauben verstößt. Dies ist möglich, wenn sich der Patient erstmals nach Abschluss der Behandlung, nachdem er sämtliche Vorteile aus der zahnärztlichen Versorgung gemäß dem Heil- und Kostenplan in Anspruch genommen hatte, auf die Nichteinhaltung der Schriftform berufen hat.

OLG Hamm, Urteil vom 31.10.2016, Az.: 3 U 173/15

Ein Kinderarzt, der bei der U3-Untersuchung eines Kleinkindes eine Reifeverzögerung seiner Hüfte aufgrund einer falschen Diagnose verkannt hat, und ein Orthopäde, der zur späteren Abklärung eines auffälligen Gangbildes des Kindes röntgenologische Befunde oder Kontrollen im engen zeitlichen Abstand versäumt hat, können dem Kind auf Schadensersatz haften. Wenn sich beim Kind infolge der Behandlungsfehler eine Hüftgelenksluxation ausgebildet hat, die operativ versorgt werden muss, kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro für den vom Kinderarzt und ein solches von 20.000 Euro für den vom Orthopäden verursachten immateriellen Schaden angemessen, aber auch ausreichend sein.